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Die Bezeichnung "Borderline" hat eine wechselvolle,
wenn auch kurze Geschichte hinter sich. Trotz seines Status als
einer offiziellen diagnostischen Einheit erstmals in der weltweit
anerkannten DSM-III-Nomenklatur Anfang der 80erJahre, ist seine
Benutzung als formale syndromale Kennzeichnung bis heute umstritten.
In seiner strengen linguistischen Bedeutung vermittelt der Begriff
"Borderline" einen mittleren Schweregrad entweder eines
Persönlichkeitsfunktionsniveaus oder einer strukturellen Organisation.
Insgesamt beinhaltet der Begriff Borderline ein instabiles Verhaltensmuster,
das sehr unterschiedliche Merkmale zum Ausdruck bringt (zusammenfassend
in Millon, 1996).
Jahrzehntelang galt die Borderline-Störung als psychische Erkrankung,
die an der Grenze zwischen neurotischen und psychotischen Störungen
anzusiedeln war. Erst mit der Verbesserung der Diagnostik wird sie
als abgrenzbare spezifische Störung anerkannt. Bei der Diagnose
einer Borderline-Störung (BPS) erfolgt die Orientierung an
den Kriterien aus dem DSM-IV, dem Diagnostischen und Statistischen
Manual Psychischer Störungen:
- Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes
Verlassenwerden zu vermeiden.
- Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher
Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der
Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
- Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde
Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung
- Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden
Bereichen - Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch,
rücksichtsloses Fahren, "Fressanfälle"
- Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandrohungen oder
-deutungen oder Selbstverletzungsverhalten.
- Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten
Reaktivität der Stimmung z.B. hochgradige episodische Dysphorie,
Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich
einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
- Chronische Gefühle von Leere.
- Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu
kontrollieren (z.B. heftige Wutausbrüche, andauernde Wut,
wiederholte körperliche Auseinandersetzungen)
- Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide
Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.
Besondere Merkmale:
Das Verhaltensmuster bei der BPS konnte bisher überall in der
Welt gefunden werden. Das Auftreten der BPS wird auf ca. 2% in der
Allgemeinbevölkerung, auf ca. 10% bei ambulanten und ca. 20%
bei stationären psychiatrischen Patienten geschätzt. In
klinischen Populationen mit Persönlichkeitsstörungen liegt
sie im Bereich von 30-60%. Die BPS wird überwiegend (75%) bei
Frauen diagnostiziert. Die Prävalenz der BPS wird in den USA
mit 1.0 bis 1,8% angegeben. Auffallend ist eine hohe Suizidrate
von 5-10% und eine Selbstverletzungsrate von 69-80%. Das höchste
Suizidrisiko liegt zwischen dem 20.-30. Lebensjahr. In der Mehrzahl
sind Frauen betroffen (70-77%). Es besteht eine hohe Komorbidität
zu anderen Störungen. Komorbid findet man häufig affektive
Erkrankungen (81-100%), Angsterkrankungen/PTSD (24-81%), Substanzmissbrauch
(21-67%), Essstörungen (14%).
Ätiologische Aspekte:
Bei der Diagnose einer BPS finden sich in 70% der Fälle frühe
chronische Traumata wie sexueller Missbrauch und /oder emotionale
Vernachlässigung. Außerdem prä- und postnatal eine
Häufung neurologischer Erkrankungen und körperlicher Schädigungen.
Bei Vorliegen einer BPS liegen ausgeprägte Störungsmuster
auf mehreren Ebenen vor:
- Neurobiologische Ebene:
Auf neurobiologischer Ebene finden sich Störungen der Emotionsregulierung
im limbischen Hirnsystem sowie eine erhöhte Dissoziationsneigung.
Hierzu gehören: rasch einschießende Affekte, eine starke
Auslenkung der Affekte, eine langsame Rückbildung, ein hohes
Grunderregungsniveau, Flashbacks, szenische Halluzinationen, Gedankenlautwerden,
und eine ausgeprägte Dissoziationsneigung.
- Ebene unrealistischer Bewertungsprozesse:
Hierzu gehören sehr ausgeprägte Schuld- und Schambesetzte
Grundannahmen, die in sich resistent bleiben, retraumatisierenden
Erfahrungen unterliegen und somit immer wieder aktiviert werden
können.
- Ebene dysfunktionaler Handlungen:
Hierzu gehören suizidale Handlungen, Selbstverletzung, aggressive
Durchbrüche, schambesetzte Meidung, und Hochrisikoverhalten.
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) der Borderline-Störung
Zusammenfassung:
Der Therapieansatz der DBT entspricht den Kriterien, die heute an
eine moderne Psychotherapie gestellt werden. Die DBT basiert auf
einer Daten gestützten Theorie. Sie verfügt über
ein Manual. Sie ist störungsspezifisch konzipiert, und sie
integriert ein breites Spektrum therapeutischer Strategien und Techniken,
wie kognitive Verhaltenstherapie, Körpertherapie, Hypnotherapie,
Gestalttherapie, Psychodynamik und Zen. Die DBT wurde erfolg reich
an spezifische Erfordernisse in der Behandlung von Borderline-Patienten
adaptiert. Ihre Wirksamkeit wurde in kontrollierten und randomisierten
Studien überprüft und nachgewiesen. Die DBT stellt ein
Behandlungskonzept dar, das ursprünglich Anfang der 90er Jahre
von Prof. Marsha M. Linehan in Seattle/USA für die ambulante
Psychotherapie chronisch-parasuizidaler Frauen mit der Diagnose
einer Borderline-Störung entwickelt wurde.
Der DBT-Therapieansatz ist mittlerweile in vielen Ländern (England,
Italien, usw.) und auf verschiedenen Kontinenten (Amerika, Asien,
Europa) verbreitet. Er wurde in den letzten Jahren an verschiedene
Versorgungserfordernisse angepasst: an stationäre und teilstationäre
Behandlungskonzepte, an modifizierte Konzepte für Adoleszente
(DBT-A), an drogenabhängige und essgestörte Patienten
mit einer Borderline-Störung.
Im deutschsprachigen Raum ist in den 90 er Jahren
die DBT vom Forschungsteam der Universitätsklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie in Freiburg (Ltg. Dr. M. Bohus) für
die stationäre klinische Behandlung adaptiert worden. Über
die Fortbildungseinrichtung der Arbeitsgemeinschaft für Wissenschaftliche
Psychotherapie (s. AWP/ Freiburg und Berlin, Ltg. M. Bohus) und
durch das regelmäßige bundesweite Netzwerkwerktreffen
hat der DBT-Therapieansatz mittlerweile in vielen klinischen und
sozialtherapeutischen Einrichtungen innerhalb der einzelnen Bundesländern
Eingang gefunden.
Der Dialektisch-Behaviorale Therapieansatz wird geleitet von dem
zentralen Gedanken der affektiven Dysregulation als dem Kernproblem
der Borderline-Störung. Entsprechend steht die Bearbeitung
dysfunktionaler Problemlösemuster zur Affektregulation wie
z.B. suizidale Handlungen, selbstschädigendes Verhalten und
Dissoziationen, im Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Danach lässt
sich die Entstehung einer Borderline-Störung als ein Zusammenwirken
von sozialen Faktoren wie frühe Traumatisierung und Vernachlässigung
auf der einen Seite und aus neurophysiologischen Dispositionsfaktoren
wie affektive Vulnerabilität auf der anderen Seite erklären.
Zur Entwicklung des DBT-Ansatzes:
Linehan arbeitete ursprünglich vor allem mit suizidalen Patientinnen.
Von der Verhaltenstherapie herkommend wurden zunächst ausschließlich
kognitiv-behaviorale Verfahren angewandt, was sich als wenig wirksam
erwies, da sie der Komplexität der Borderline-Persönlichkeitsstörung
nicht gerecht wurden. Außerdem war evident, dass suizidale
und Borderline-Muster affektive dysfunktionale Problemlösemuster
darstellen. Somit sah sie sich mit ihrem Forschungsteam vor die
Herausforderung eines zu erweiternden Behandlungsmodells gestellt.
Mit der Dialektisch-Behavioralen Therapie wurde ein komplexer Therapieansatz
begründet, der kognitive-behaviorale Interventionen (Skills-Training,
kognitive Umstrukturierung, Expositionstraining, Kontingenzmanagement,
Verhaltensanalyse) mit östlichen Meditationspraktiken verbindet
(Mindfulness/s. Achtsamkeit), und dabei auch humanistische und psychodynamische
Therapieaspekte integriert, verbunden mit Gestalt- und mit paradoxen
Strategien.
Die dialektische Grundidee in dem Dialektisch-Behavioralen Therapieansatz
ist zentral. Sie bedeutet, dass der Therapeut auf die Regung der
Patientin aufmerksam zwischen den Polen der Akzeptanz und der Veränderung
reagiert. Mit Hilfe der dialektischen Strategien selbst oder der
dialektischen Bewegung zwischen den Akzeptanz- und Änderungsstrategien
kann somit eine Atmosphäre für Veränderung entstehen.
Das Entstehungsmodell der
BPS im Rahmen der DBT:
Das Entstehungsmodell in der DBT basiert auf der Bio-Sozialen Lerntheorie
von Millon. Danach besteht eine transaktionale Beziehung zwischen
der Disposition zur affektiven Dysregulation aufgrund eines hypersensitiven
Nervensystems - das ist die biologische Konstante - und der Unfähigkeit,
die Emotionen gegenüber der Außenwelt zu modulieren -
das ist die soziale Konstante. Das Kernproblem der affektiven Dysregulation
entwickelt sich umso mehr, wenn das hypersensitive Kind in bezug
auf seine Umgebung keine Unterstützung erfährt. Linehan
geht bei dem sozialen Entstehungsaspekt von einem invalidierenden
Umfeld aus. Es ist ein Umfeld mit einer gewalttätigen Kommunikationserfahrung,
häufig bestimmt von sexueller Gewalterfahrung und emotionaler
Vernachlässigung. Die Familie, in der das Kind aufwächst,
vermag nicht zu diskriminieren, was es gerade macht und wieso es
dies macht. In invalidierenden Familien sind Regeln vorherrschend
wie: kümmere Dich nicht um Deinen Schmerz, sei nicht unabhängig,
sei nicht von uns verschieden, kreiere keine Probleme für irgendjemanden
in und außerhalb der Familie.
Durch das Zusammenwirken dieser biosozialen Faktoren kommt es zu
einer Störung der affektiven Regulation, bei dem ein hypersensitives
Nervensystem schon bei geringfügigen emotionalen Stimuli mit
einem starken Erregungsanstieg reagiert, der mit einer unmittelbaren
und sehr intensiven Reaktion einhergeht. Zusätzlich erfolgt
ein sehr verlangsamter Erregungsrückgang, da die Emotionen,
unterstützt von der kognitiven Feed-Back-Schleife, weiter angefeuert
werden. Die Patientinnen bleiben in ihren Affekten stecken und laden
sich sozusagen immer wieder neu auf. Die hohe Reaktivitätsrate
schließt extreme Reaktionen ein. Ausschlaggebend ist dabei
der dysregulierte psychophysiologische Spannungspegel, der zu einem
extrem hohen Spannungsanstieg führt, welcher nicht mehr reguliert
werden kann und somit zu einem Ausbruch drängt. Zur Spannungsregulierung
greifen dann die Betroffenen häufig zu selbstverletzendem Verhalten,
Suizidversuchen oder Dissoziationen. Der Registrierung und dem Abbau
des hohen Erregungspegels wird in der Dialektisch-Behavioralen Therapie
sehr viel Beachtung geschenkt.
Bei der Entwicklung des DBT-Ansatzes haben sich Linehan und
ihr Team an drei wesentlichen Kriterien orientiert:
1. ein Ansatz, der die affektive Dysregulation verringert,
2. ein Ansatz, der den Patienten am Leben erhält,
3. ein Ansatz, der strukturiert ist (bei dem der Therapeut weiß,
was er zu tun hat).
Es haben sich die folgenden fünf Therapieeinheiten in der
DBT bewährt:
1. Strukturierung der Behandlung,
2. Fertigkeitentraining (Skillstraining),
3. Dialektische Strategien,
4. Achtsamkeit/ Mindfulness.
5. Validierung
Im Weiteren wird näher auf die 1. Strukturierung
der DBT-Behandlung und auf das 2. Fertigkeitentraining eingegangen:
1. Strukturierung:
Der Dialektisch-Behaviorale Therapieansatz gliedert sich in drei
Therapiephasen auf.
Vorbereitungsphase:
Die Vorbereitungsphase dient der Einführung in das Therapierational
der DBT und dem Commitment seitens der Patientin dazu.
Therapiephase:
In der ersten Therapiephase stehen die Reduzierung suizidaler,
therapiegefährdender und die Lebensqualität einschränkender
Verhaltenswiesen sowie die Bearbeitung von Verhaltensdefiziten im
Mittelpunkt. Am Ende des ersten Therapiejahres (bei ambulanter Therapie)
sollte die Patientin zumindest über ein grundlegendes Wissen
und Basiskompetenz bezüglich der in der DBT vermittelten Verhaltensfertigkeiten
verfügen. Eine stationäre Behandlung wird über die
erste Phase kaum hinauskommen. Sie dient der stabilisierenden Vorbereitung
auf eine ambulante DBT, welche eine Vertiefung der ersten Phase
sowie die zweite und dritte Phase beinhalten soll.
Das Therapie-Vorstadium (7-10 Tage):
Es dient der Diagnostik, der Aufklärung über die Erkrankung
und der schriftlichen Therapievereinbarung für die DBT. Die
Therapie beginnt nicht, bevor der Patient folgenden Punkten zugestimmt
hat:
Non-Suizidvertrag mit der Zusage zum Stop von lebensbedrohlichem
Verhalten; Zustimmung zu der Hierarchisierung der Problembereiche,
Zustimmung am Abbau von Reduktion von selbstschädigendem und
Lebensqualität beeinträchtigenden Mustern sowie nicht-therapie-gefährdendem
Verhalten zu arbeiten, und die Zustimmung zur Kombination Einzel
und Gruppe. Die PatientInnen verpflichten sich an diesen Zielbereichen
zu arbeiten. Hierzu gehört auch die Zustimmung zu der Regelung,
bei Selbstverletzung eine Verhaltensanalyse anzufertigen wie die
Zustimmung zum Kontingenzmanagement: 24 Stunden-Regel, d.h. kein
Kontakt zum Einzeltherapeuten, wenn sich die Patientin verletzt
hat.
Während der Therapie-Vorphase wird ebenso die Biosoziale Theorie
erläutert, nach der die Muster im Sinne dysfunktionaler Problemlösemuster
bisher einen Sinn machten (s. Akzeptanz: Validierungsstrategie)
jedoch nun durch die Arbeit der Patientin zu reduzieren sind (s.
Veränderung: Konfrontations-Strategie). Somit ist nach Beendigung
des Therapie-Vorstadiums klar, an welchen Problembereichen zuerst
gearbeitet wird und wie sie im Wochenprotokoll einzutragen sind.
Die Patienten führen fortlaufend ein Wochenprotokoll, in das
Spannungszustände, Drogenkonsum, Bulimie, Schneiden, Unwohlsein
und sonstige dysfunktionale Verhaltensweisen entsprechend ihrer
Intensität und Frequenz eingetragen werden.
Die Verhaltensanalyse (VA) bildet dabei ein wichtiges Handwerkszeug
. Die Verhaltenskette plus das Wochenprotokoll bzgl. der jeweils dysfunktionalen
Muster beginnt mit der ersten Sitzung. Erst über sie kann eine
Fallformulierung erfolgen. Durch eine VA sollen die Betroffenen lernen,
Einsicht in den Spannungsaufbau zu erhalten und das im Fertigkeitentraining
Gelernte in Handlungspläne einzubauen. Es wird gemeinsam erarbeitet,
worin die auslösenden Faktoren und worin die Konsequenzen bestehen.
Entsprechend dem dialektischen Vorgehen ist es einerseits wichtig,
der Klientin durch die sofortige Teilnahme am Fertigkeitentraining
viele Fertigkeiten und damit frühzeitig Selbstwirksamkeitserfahrungen
zu vermitteln. Gleichzeitig ist es notwendig, sehr achtsam und validierend
auf die affektive Dysregulation der Patientin einzugehen.
12-wöchige stationäre Therapiephase:
Während dieser Therapiephase (ambulant: 1-2 Jahre, stationär:
12 Wochen) soll vor allem die emotionale Belastbarkeit erhöht
werden. Hierbei werden viele Fertigkeiten (Skills) aus dem Fertigkeitentraining
vermittelt. Zu ihnen gehören maßgeblich die Skills zur
Verbesserung der inneren Achtsamkeit (mindfulness skill) und zur
Emotionsregulation. Sie zielen darauf ab, die eigenen Affekte und
Spannungszustände zu verstehen, die Vulnerabilität für
die einschießenden Affekte und Spannungszustände zu reduzieren
und zu modulieren. Die erste Therapiephase befasst sich mit der
Reduktion selbstschädigender Verhaltensmuster. Hierzu gehört
maßgeblich die Beseitigung externer Faktoren, die eine unkontrollierte
Aktivierung von traumatischen Erinnerungen begünstigen. Es
gilt, Retraumatisierungen durch sexuellen Missbrauch zu verhindern.
Es ist dafür zu sorgen, dass die wohnungslose Patientin erst
mal eine Wohnung beziehen kann, dass sie ihr High-Risk-Verhalten
aufgibt, usw. Die Strukturierung der sozialen Umwelt der Klientin
ist von Anfang an sehr wichtig. Bei fehlender Berücksichtigung
retraumatisierenden Faktoren kann z.B. das suizidale Verhalten verstärkt
werden, was in eine Therapieblockade führt. In der DBT wird
daher von Anbeginn darauf eingegangen, wie die Klientin bei Konflikten
mit dem sozialen Umfeld besser umgehen kann.
Jede Therapiesitzung folgt einem strukturierten Ablauf, dessen Agenda
jeweils zu Beginn festgelegt wird. Anhand des Wochenprotokolls (in
das z.B. Schneiden, Erbrechen, Drogenkonsum und Spannungszustände
eingetragen werden) werden die Problembereiche hierarchisch nach
der Dringlichkeit geordnet und werden in der folgenden Reihenfolge
bearbeitet: an oberster Stelle stehen suizidales und parasuizidales
sowie selbstschädigendes Verhalten, gefolgt von therapiegefährdendem
Verhalten, gefolgt von Beeinträchtigungen der Lebensqualität
und der Verbesserung von Verhaltensfertigkeiten. Therapiegefährendes
Verhalten (z.B. keine Hausaufgaben, in der Stunde dissoziieren,
Wochenprotokoll nicht ausgefüllt, Therapiesitzungen versäumen,
TherapeutInnen attackieren) wird von dem Therapeuten in der DBT
grundsätzlich nicht ignoriert. Die Basis-Regel dabei lautet:
Um effektiv zu arbeiten, kann die Klientin nicht die vom Therapeuten
gesetzten Regeln und Grenzen übergehen. Der Therapeut geht dabei
nicht verurteilend vor, sondern behandelt therapiestörendes Verhalten
wie auch dysfunktionales Verhalten und deren negative Konsequenzen
als Tatsache. Er fungiert vielmehr als Modellvorgabe in bezug auf
das wichtige Behandlungsziel innerhalb der ersten Therapiephase, dem
Aufbau der inneren Achtsamkeit (Mindfulness).
Eine wichtige Rolle im Umgang mit den therapeutischen Grenzen spielt
auch die Teamsupervision bzw. die Teamintervision. Sie gehört
in der DBT zum Therapierational. Die Teamsupervision ist notwendig,
um den demoralisierenden Tendenzen beim Therapeuten entgegen zu
wirken. Ohne Team-Unterstützung würde sich schnell ein
Burn-Out beim Therapeuten einstellen. In der Teamsupervision wird
außerdem auf Therapie-gefährdendes Verhalten beim Therapeuten
(fehlendes Ausbalancieren therapeutischer Strategien, defensives
Verhalten, etc.) aufmerksam gemacht.
2. Fertigkeitentraining:
Das Fertigkeitentraining (sog. Skillstraining) wird in einer DBT-Gruppe
parallel zur Einzeltherapie durchgeführt. Für den Therapeuten
ist es vorteilhaft, die Fertigkeiten bei sich selbst eingeübt
zu haben. Das Skillstraining besteht aus einem halbstandardisierten
Trainings-Manual. Es beinhaltet die vier Module: 1. die Innere Achtsamkeit
(dem Zen angelehnt), 2. bewusster Umgang mit Gefühlen, 3. Stress-toleranzfertigkeiten
und 4. zwischenmenschliche Fertigkeiten. Die Module nehmen im ambulanten
Setting je 8-12 Sitzungen in Anspruch (im stationären Setting
entsprechend modifiziert). Die Patientinnen führen wöchentlich
Übungen zu den jeweiligen Arbeitsblättern durch, die sie
in einem Wochenprotokoll eintragen.
1. Innere Achtsamkeit: Fertigkeiten zur Steigerung der inneren
Achtsamkeit haben eine zentrale Bedeutung in der DBT und werden
daher als erstes vermittelt. Diese Übungen beruhen auf der
Praxis des Zen und östlichen Meditationspraktiken. Zu den Übungen
gehören die Was-Fertigkeiten der inneren Achtsamkeit: Beobachten,
Beschreiben, Teilnehmen, die mit den Wie-Fertigkeiten, wirkungsvoll,
konzentriert, nichtbewertend, kombiniert werden. Daneben wird intuitives
Verstehen eingeübt. Insgesamt ist die Innere Achtsamkeit ein
Weg, um Gefühl und Verstand in ein Gleichgewicht zu bringen,
um den Augenblick wahrzunehmen, und um die dysfunktionalen emotionsabhängigen
Verhaltensreaktionen zu reduzieren.
2. Bewusster Umgang mit Gefühlen/emotionale Regulierung:
In diesem Modul werden spezifische Fertigkeiten für einen bewussten
Umgang mit Gefühlen vermittelt. Ziel dieses Moduls ist es,
die eigenen Gefühle zu verstehen. Die Klientinnen üben
ein, ihre Gefühle zu identifizieren und deren Funktionen im
kommunikativen Kontext zu analysieren, die emotionale Verwundbarkeit
zu verringern, positive Emotionen für sich häufiger erfahrbar
zu machen, und das eigene emotionale Leiden zu vermindern. Ein Skill
betrifft z.B. das Verändern von Gefühlen durch entgegengesetztes
Handeln zu Ärger, Angst , Scham, Traurigkeit und Schuldgefühl.
3. Stresstoleranzfertigkeiten:
Die Fertigkeiten zur Stresstoleranz sind eine Fortsetzung der Fertigkeiten
zur Steigerung der Inneren Achtsamkeit. Bei den dazugehörigen
Übungen spielt das Annehmen und Ertragen von Belastungen und
deren Sinnfindung eine große Rolle. Ziel bei der Aneignung
von Stresstoleranzfertigkeiten ist es, die Fähigkeit zu erwerben,
Krisen auszuhalten und zu überleben sowie die Fähigkeit,
das Leben anzunehmen wie es im Augenblick ist. Übungsbeispiele
sind: Radikale Akzeptanz, Bereitschaft/Willingness (kommt aus dem
spirituellen Bereich, und stellt das Gegenteil von Wollen/Willfullness
dar). Bewährte Fertigkeiten zur Kontrolle dissoziativer Zustände
sind z.B.: Fishermans friend kauen, an Ammoniak riechen, oder Eis
in die Hand nehmen. In einem individuell zusammen gestellten Notfallkoffer
übt die Klientin im Alltag ein, ihre eigenen Stresstoleranzstrategien
ggf. zu aktivieren.
4. Zwischenmenschliche Fertigkeiten:
Dieses Modul ist angelehnt an das soziale Kompetenztraining. In
ihm werden soziale Strategien vermittelt, wie man nach etwas fragen
kann, das man braucht, wie man nein sagen oder wie man mit interpersonellen
Konflikten wirkungsvoll umgehen kann.
Sollten Sie weitere Fragen haben, dann wenden
Sie Sich bitte an:
Oberarzt Dr. C.-H. Lammers
Literatur
Eine gute Darstellung der Borderline-Erkrankung und des generellen
Behandlungskonzeptes finden Sie in dem Buch "Borderline-Störung"
von Martin Bohus und "Ratgeber Borderline-Syndrom" von
Ingrid Sender.
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