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Lolitamanie

In Frankreich sind es Alizée, Lorie und seit neuestem die kleine Priscilla, die den Lolitamythos nähren; in Deutschland gibt es weniger Kinderstars im Stil von Lolita, aber in allen europäischen Ländern ist der Lolita-Stil zurzeit stark im Trend: Mädchen im Teenageralter kleiden sich sexy bis aufreizend und folgen damit – ob bewusst oder unbewusst – der aktuellen Lolitamanie.

Wir haben einen Sexualforscher befragt, wie er dieses Phänomen beurteilt. Sie können das Interview entweder hören - klicken Sie dazu auf den folgenden Link - oder lesen - unten auf dieser Seite.


>> Interview mit Prof. Berner    

Außerdem können Sie in der Rubrik "Eye on Lolita" einen Einblick in die Fotoarbeiten der Fotografin und Journalistin Maryatta Wegeriff aus Johannesburg bekommen: Sie fotografiert junge Mädchen und hat uns für die Gestaltung unserer Website ihre Fotos zur Verfügung gestellt.


Das Interview im Wortlaut

Das Prinzip einer sexuellen Beziehung zwischen einem älteren Mann und einem jungen Mädchen à la Lolita scheint heute in unserer Gesellschaft hoch aktuell. Dabei ist eine solche Beziehung zwar nicht völlig akzeptiert, aber immer mehr Mädchen geben und verhalten sich wie eine Lolita.
Wie dieses Verhalten der jungen Mädchen zu beurteilen ist und die Reaktion, die sie bei Männern dadurch auslösen, erklärt Prof. Wolfgang Berner, Sexualforscher an der Uniklinik Hamburg.

Man hat den Eindruck, dass weibliche Kinderstars wie Alizée und Lorie in Frankreich die Idee einer Beziehung zwischen einem (älteren) Mann und einem jungen Mädchen nach dem Prinzip Lolita aktualisiert haben. Gibt es zurzeit in unserer Gesellschaft eine Lolita-Welle?

Ich möchte ein bisschen ausholen und zunächst einmal deutlich machen, dass die Untersuchungen zur Studentensexualität von Gunter Schmidt eines deutlich gemacht haben, nämlich, dass sich das Sexualverhalten der Mädchen mehr verändert hat als das der Jungen. Mädchen beginnen heute früher sexuelle Erfahrungen zu machen als vor 20 oder 30 Jahren. Sie haben in jungen Jahren oft mehr Partner als die gleichaltrigen Jungen. Das hat wohl mit unserer egalitären Gesellschaft zu tun, mit der zunehmenden Gleichberechtigung, mit der Unabhängigkeit von Frauen, die ihnen auch den Mut gibt, zu ihrer Sexualität mehr zu stehen als früher.

Bedeutet das denn auch, dass die Jungen, wenn sie älter und erwachsen werden, etwas nachholen müssen ?

Das kann ich so genau nicht sagen. Aber es gab immer schon eine gewisse Anziehung von jungen Mädchen an erwachsenen Männern. Erwachsene Männer finden junge Mädchen besonders attraktiv. Das hat möglicherweise auch etwas mit der Biologie zu tun, das hat evolutionsbiologische Gründe. In den „Signalen der Liebe“ von Karl Grammer wird deutlich gemacht, dass für Männer die Jugendlichkeit, körperliche Gesundheit, die so etwas wie Fruchtbarkeit verspricht, einen besonderen Reiz darstellt. Während für junge Mädchen, neben der biologischen Männlichkeit, auch die Kraft, Sicherheit und die Fähigkeit des Mannes, Ressourcen zur Verfügung zu stellen, einen gewissen Anreiz haben.

Wenn Männer sich dafür entscheiden, keine Beziehung zu einer erwachsenen, in etwa gleichaltrigen Frau einzugehen, sondern zu einer jungen Kindfrau – liegt darin auch eine Flucht oder ein Versagen gegenüber ebenbürtigen Partnern?




Das kann man schon zum Teil so sehen. Ich habe den Eindruck, dass das Lolita-Phänomen, das ja auf den Roman von Nabokov aus den 50er Jahren zurückgeht, diese Welle auslöste. Wir standen ja damals am Beginn der weiblichen Emanzipation, als sich offensichtlich Männer zunehmend gefährdet gefühlt haben von Frauen, die genau so stark sind wie sie, weil ja dieses Schema der Hilflosigkeit und der Bedürftigkeit den Mann in seinem Selbstbewusstsein unterstützte, ihn etwas Selbstsicherheit empfinden ließ. Das kann unter Umständen auch sexuell stimulieren. Dieses Muster wurde möglicherweise damals noch ganz unbewusst von Frauen eingesetzt, um ihre Emanzipation zu überspielen – das sogenannte Baby-Doll-Phänomen. Frauen haben sich zunehmend mit den Reizen der Jugendlichkeit umgeben, haben sie noch betont und unterstrichen, um eben ihre ökonomische und geistige Gleichstellung ein bisschen zu verwischen. Was dann die Männer sehr gerne aufgenommen haben, weil es ihnen auch noch das traditionelle Gefühl, ein starker überlegener Mann zu sein, erleichtert hat.

Sehen sich ältere Männer, die eine ähnliche Rolle wie Humbert Humbert in Lolita einnehmen, in der Praxis manchmal als "Opfer offener Verführung eines kleinen raffinierten Biests"? Ist demnach für einige Männer eher Lolita die Schlimme, die Schuldige?

Natürlich sehen sie das so. Das hat auch damit zu tun, dass wir heute Sexualität so wahnsinnig ernst nehmen und diese Reize, die von unseren Geschlechtspartnerinnen ausgehen, so unbedingt und wichtig nehmen, so dass wir es kaum noch wagen, uns diesen Reizen zu entziehen. Während es in früheren von Moral geprägten gesellschaftlichen Situationen gerade zu verpönt war, mit diesen Reizen zu spielen, ist es heute das wichtigste Gesellschaftsspiel geworden. Und deshalb ist es noch schwieriger geworden, sich diesen Reizen zu entziehen als früher.
Jetzt ist es natürlich auch wichtig, diesen Männern klarzumachen, dass kleine Mädchen – besonders in der Pubertät – zunächst ganz unbewusst mit solchen Reizen zu spielen beginnen, sich ausprobieren. Einfach wissen wollen: Wie wirke ich? Und keineswegs damit die bewusste Intention verbinden, jetzt vom Mann genommen zu werden oder einen Geschlechtsakt zu vollziehen.

Welche Rolle spielt das "Androgyne" der Lolita für Männer? Sie ist noch keine richtige Frau aber auch kein Kind mehr. Inwiefern ist darin auch eine homosexuelle Neigung zu erkennen?

Ich würde ein bisschen vorsichtig sein, das als eine homosexuelle Neigung zu bezeichnen. Das Androgyne spielt in unserer Sexualität überhaupt eine große Rolle. Das hat mehr mit unseren narzisstischen Ansprüchen zu tun. Wir wollen Mann und Frau gleichzeitig sein und Mann und Frau gleichzeitig haben. Es hat etwas von der Vollkommenheit, beide Geschlechter gleichzeitig vertreten zu können zu tun. Nicht unbedingt homosexuell oder homoerotisch im eigentlichen Sinne, sondern es hat eher damit zu tun, dass wir Sexualität dazu benutzen, um unseren Narzissmus zu polstern. Und uns als vollkommene gemischt-geschlechtliche Wesen anderen gemischt-geschlechtlichen Wesen anzunähern.

Die Geschlechtsreife tritt heute bei Mädchen viel früher ein als noch vor einer Generation. Woran liegt das? Hat das nur biologische Gründe?




Ich denke, dass es schon sehr viel damit zu tun hat, dass wir in einer Zeit leben, wo die Frage des Überlebens nicht mehr die Hauptfrage der Menschen ist. Wo ein großer Anteil von Menschen relativ gesund lebt und das fördert natürlich die Entwicklung und möglicherweise auch die Frühreife. Das ist wahrscheinlich der überwiegende Teil der Erklärung. Darüber hinaus hat es eben auch damit zu tun, dass Sexualität in einem viel höheren Maße in das Bewusstsein der Menschen getreten ist und sie viel aufmerksamer werden auf das erste Aufkeimen von sexuellen Reizen und sie viel ernster nehmen. Während man sie früher aus moralischen Gründen versucht hat, bis zur Eheschließung, zu einer eventuellen Eheschließung zu bremsen.

Was bedeutet denn diese frühe Geschlechtsreife für die geistige Reife der Mädchen und wie wirkt sich das auf das Sexualverhalten der jungen Mädchen aus ?

Es wird von einem gewissen maturity gap gesprochen. Natürlich gab es auch das immer schon, dass die geistige Entwicklung hinter der körperlichen Reife in der Pubertät nachhinkt. Und das wird in den Zeiten, in denen wir besondere Reize und insbesondere jugendliche Sexualität empfinden, noch stärker. Die Mädchen merken, dass sie eine besonders starke Wirkung auf Männer haben und es lässt sie viele frustrierende Auseinandersetzungen mit kognitiven Problemen ihres Alltags vergessen. Möglicherweise kann das auch zu einer Art Ersatzbefriedigung werden, die sie vergessen lässt, dass es noch viel zu lernen gibt im Leben und viele Bewährungsproben, die nicht unbedingt nur mit Körperlichkeit zu tun haben.

Das war der Sexualforscher Prof. Wolfgang Berner von der Uni-Klinik Hamburg. Herr Professor, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Katja Dünnebacke.



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