Pädophilie - darf es die geben? Pädophilie - darf es die geben? Anfragen anlässlich eines Buches. Prof. Dr. Dr. Rüdiger Lautmann, Universität Bremen Wenn ich dies schreibe, ist just ein halbes Jahr vergangen, dass mein Büchlein "Die Lust am Kind" erschienen ist. Tatsächlich bilden diese Liebesbeziehungen ja eine Art von weissem Fleck auf der Landkarte unseres Wissens. Die sogenannten Kinderschänder vegetieren im Keller der öffentlichen Meinung. Niemand will mit ihnen zu tun haben ((Kann es nicht mit denen, denen es scheinbar einfach, leicht von der Hand geht)), auch in der Sexualwissenschaft nicht. Diese massive Abwertung hat mich herausgefordert. In der Soziologie kommen Hierarchien, Vorurteile und Skandale auf den Prüfstand. Wir fragen professionell: Welche Wirklichkeit steckt dahinter? Die Pädophilen hängen fast hilflos in einer Zwickmühle. Einerseits beteuern sie, Kinder aufrichtig zu lieben und erotisch zu verehren. Andererseits werden sie gerade deswegen von der Justiz besonders hart angefasst... Das Bekenntnis und die Not dieser Männer haben mich angerührt. Trotz ihrer insgesamt verzweifelten Lage wirken manche völlig unpathologisch, also gesund - im Einklang mit ihrem Begehren. Ein "provozierendes Buch" soll ich vorgelegt haben... - na ja, offenbar lassen sich Leute hiervon provozieren, denn das heisst doch, es wird gegen einige ihrer Gewissheiten verstossen. Ein junger Kollege erklärt mir eindringlich , an einem Tabu, einem so empfindlichen Thema, liesse sich nicht einfach rütteln; das Tabu habe eine gesellschaftliche Funktion. Und wer an das Geheimnis rührt, indem er darüber spricht - was geschieht mit dem? Man zweifelt, ob man ihn noch ernst nehmen könne. Was er schreibt, klingt "nach Euphemismus und erweckt den Verdacht der Verharmlosung". In dieselbe Richtung zielt es, wenn mein Buch als "Plädoyer" aufgefasst wird.. Ich würbe um Verständnis, stelle Pädophilie als nicht schädlich hin... Auf meine Frage an die (wirklich wohlmeinenden) Kollegen, worin sie das Plädoyer entdeckten, wurde mir folgende Stelle vorgelesen: "Anstatt in Bausch und Bogen zu verwerfen, was die Kinderliebhaber über die Willensbekundungen der Kleinen erzählen, schlage ich vor, dass wir uns ihre Berichte ansehen" (S. 78). "Ein Satz wie: 'Es gibt die echte Pädophilie' ist Plädoyer, ist fehlende Distanz." Ganz offenbar gilt heute die Devise: Wer vom Missbrauch nicht redet, der soll von Pädophilie schweigen . Es besteht ein gespaltener Diskurs: über die eine Seite zu reden ist erlaubt, über die andere nicht. Die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich ausschliesslich auf die sexuelle Seite der Vorgänge, um dann Entrüstung anzuschliessen. Solches Wahrnehmungsraster merkt gar nicht, wie es die Verurteilung selber produziert: durch Reduktion des Blicks auf etwas, welches per se schlecht, ja unvorstellbar scheusslich ist. In meinem Untersuchungsbericht versicherte ich nun, selbst nicht zu den Kinderliebhabern zu gehören (einige der pädophilen Leser empfanden das schon als unnötige Distanzierung). Einem einfühlsamen Journalisten fiel auf, dass im Buch hervorgehoben wurde, niemand in unserem Forschungsteam hege eine sexuelle Präferenz für Kinder. "Haben Sie Angst vor Diffamierung?" Nein! Vielmehr habe ich das hervorgehoben, weil die meisten bisherigen Untersuchungen zur Pädophilie von Leuten gemacht wurden,die selber interessiert sind und deshalb mit einem ganz anderen Blick an die Angelegenheit herangehen. Doch genügte all das dieses Mal nicht, um den Eindruck der Neutralität hervorzurufen, um der Forderung nach Objektivität Genüge zu tun. (Möglicherweise ist im gegenwärtigen Meinungskampf eine neutrale, 'objektive' Analyse gar nicht gefragt. Ist Pädophilie notwendig elternfeindlich oder liegt sie etwa quer zur Herkunftsfamilie? Ich denke, nicht. Die pädophilen Männer stellen meist ein Verhältnis zu den Eltern des Kindes her - dem ja jegliche Belastung erspart werden soll. Auch möchten viele Pädophile selber familienähnlich mit der/dem kleinen Geliebten zusammenleben. In der Hitze des Gefechts bin ich beinahe versucht, den Spiess herumzudrehen.An sich liegt mir die gängige Familienkritigk recht fern, ja eigenlich bin ich bekennender Fan der Lebensformen Familie/Ehe/eheanaloge Partnerschaft. Gleichwohl sind einige Spannungen im Verhältnis von Kind und Familie nicht zu übersehen. Wären die Familien so heil, dann gäbe es wohl die Missbrauchsdiskussion nicht. Und wie kompetent sind die Eltern in den sexuellen Angelegenheiten ihrer Kinder? Das sexuelle Elend aller Erwachsenen nimmt in ihren Herkunftsfamilien ihren Anfang. "Der Autor muss zuegeben: Die Kinder selbst sind nicht befragt worden." Wie aber hätten wir das wohl tun können?.. Kinder können allenfalls als Opfer befragt werden, beispielsweise von Psychologinnen im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegen Täter. Eine Reihe langdauernder und aufwendiger Gerichtsverfahren aus jüngerer Zeit bietet eine Anschauung dafür, wie mit Kinderaussagen umgesprungen wird, wenn es Anklagen zu begründen gilt. Auf dieses erschreckende Kapitel gegenwärtiger Strafverfolgung (mit unerträglich langen Untersuchungshaftzeiten für die Beschuldigten, mit unerhörten Strafforderungen bei dünnen Beweiselagen) sei hier nur hingewiesen, ebenso wie darauf, wie hörbar unsere Sexualwissenschaft dazu schweigt. ((neuere Untersuchung des Bielefelder Pädagogen Georg Neubauer und seiner Forschungsgruppe, die seit 1982 mit Kindern und Jugendlichen sexualpädagogisch arbeitet)) So wurden sexuelle Kontakte... zwischen Jungen und erwachsenen Frauen nicht als sexueller Missbrauch oder Vergewaltigung definiert, sondern als positives Erlebnis bewertet. Im krassen Gegensatz dazu steht die Bewertung von sexuellen Kontakten zwischen erwachsenen Männern und Jungen. Es gestaltete sich sehr schwierig,mit den Jungen darüber zu sprechen, da es den von ihnen mit Ekel und Abscheu besetzten Bereich der Homosexualität betrifft." Ein weiteres Hindernis, von seiten der JuniorpartnerInnen Auskünfte zur Pädophilie zu bekommen! Selbst wenn sich allerlei andere, aufwendigere Methoden ausdenken lassen - es ist die Methode der Wahl, die Pädophilen über iher Beziehungen und Sehnsüchte zu befragen. Dies ist das bei weitem schonendste und ökonomischste Vorgehen. Am Ende hatten wir ein sehr breites Einzugsgebiet - von den Emazipationsgruppen bis zu den versteckt lebenden Pädophilen. Die Männer wollten sich offenbaren. Vielleicht weil wir die ersten waren, die sich nicht repressiv für diese Sexualität interessierten. Wir haben uns die Reisende, ja Völkerkundler aufgemach, um eine verborgene Szene zu erkunden und zu beschreiben. Die echten Pädophilen lieber ihre kindlichen Partner und Partnerinnen. Sie begehren sie zunächst einmal erotisch. Das Sexuelle kommt eigentlich erst in zweiter Linie. In dieser Charakterisierung liegt, wie mir inzwischen klargeworden ist, ein gutes Stück Anstössigkeit. Unsere Untersuchung definiert den Begriff des Pädophilen, grenzt ihn gegen Inzest, Missbrauch und Sadismus ab. Und wir beweisen, dass es solche Männer gibt. Unsere These lautet mithin: Das Begehren zum Kind ist eine eigenständige uns ausdifferenzierte Sexualform. Das Kindliche als autonomer Gegenstand des sexuellen Wunsches erweist sich auch daran, dass es sich teilweise von Altersdimensionen lösen kann, nämlich wenn "Erwachsene" erotisiert werden, weil und insoweit sie kindlich wirken. Den Skandal machte dann der Gedanke, dass die Sexualform "Pädophilie" sich von den Phänomenen des "sexuellen Missbrauchs" unterscheidet. Dass die Pädophilie eine eigenständige Sexualform ist, erweist sich an ihrem komplexen Aufbau,der in den wesentliche Dimensionen anders aussieht als beim Inzest und Missbrauch. Als solche Dimensionen nenne ich: - die Kommunikationsform zum Kinde - der Umgang mit eigenen Bedürfnissen (etwa: auf das Ende vorbereitet sein) - die Zurichtungen in der eigenen Wohnung und im Freizeitverhalten - der Kontakt zu den Eltern -die Sprachregelungen -sowie der Schutz vor kinderschützender Internevtion (das Buch von Rainer Hoffmann beschreibt diese Dimensionen). Die Annäherung ist ein kompliziertes Vorgehen. Der Blick des Pädophilen schweift ... durch die Menge und sucht sich ein Kind, welches seinem Blick standhält, welches eine Bemerkung erwidert, welches nicht sofort auf Distanz geht. Er sucht sich also eines der seltenen Kinder,die in der Lage sein können, in einer solchen Beziehung mtzuspielen. Ursprünglich hatte ich selbst gedacht, dass die Knabenliebhaber aus schwulen Orientierungen kommen. Zwischen Pädophilie und Homo-/Hetero- Sexualität muss man aber trennen. Jemand, der ein Mädchen liebt, "kann" ja gerade mit einer Frau sexuell nicht... Und ein Mann, der sich mit Knaben einlässt, wird bei einem erwachsenen Partner oft eher zu einer Frau tendieren als zu einem Mann. Wichtig ist, - dass ein erwachsener Partner - in der Regel abgelehnt wird. Ein anderer schreibt: "Ich meine - offenbar im Gegensatz zur Mehrzahl Ihrer Gesprächspartner - dass das Begehren "geschlechtsreifer" Knaben schon eine Menge mit homosexueller Veranlagung zu tun hat. Es ist der 'vormännliche Körper, hold und herb' (Thomas Mann), der meinen Beobachtungen und Erfahrungen zufolge die meisten Knabenfreunde anzieht..." Tatsächlich tritt neuerdings etwas in den Vordergrund, das früher nicht separat besprochen wurde. Die Neigungenzu Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden war gleichermassen schlecht angesehen. Seit kurzem gewinnt die Päderastie an Statur. Der Federstrich des Gesetzgebers hat es möglich gemacht: Einige Päderasten treten aus Pädogruppen aus. Für sie gibt es jetzt auch ein eigenes Magazin, dass sich ausdrücklich auf die"Erbschaft der griechischen Antike" beruft. KOINOS (seit 1993) will "die Sprache der Jungs" entwickeln und noch bestehende Moralgrenzen überwinden. Jungs von 12 bis 18 sind hier angesagt. Ich möchte eine solche Zeitschrift nicht bloss als taktischen Schachzug ansehen, mit dem man den legalen Spielraum, also die erlaubten Altersgrenzen auszunutzen gedenkt. Vielmehr vermeine ich das Bestreben zu spüren, einen bestimmten Typus - den werdenen Mann - als Objekt-Partner zu präsentieren. Das wäre die Päderastie in einem engeren Sinne, oder nennen wir's ironisch die NEUE BURRSCHENHERRLICHKEIT. ___ BEDEUTET JEGLICHE SEXUELLE HANDLUNG MIT EINEM KIND EINEN MISSBRAUCH? - Auf diese Frage gibt es zwei ebenso einfache wie diametral entgegengesetzte Antworten. Die einen sagen: Selbstverständlich und ohne jede Frage "ist" es missbräuchlich, sich sexuell an eine Kind zu wenden. Die anderen sagen: in dem weiten Spektrum sexueller Handlungen mit Kindern "gibt" es einige, die nicht Missbrauch heissen müssen. ...drei Kategorien Exploitation (Ausbeutung eines Kindes als blosses Sexualobjekt), Sadismus (Lust aus Quälen und Gewalt) sowie Pädophilie (die Beziehung zum Kind spielt in der Trias Liebe-Erotik- Sexualität)... Der Streit zwischen den beiden Positionen ist danach zunächst einmal von tautologischer Art und damit ziemlich müssig. Defitionen sollen helfen, die Erfahrungen zu ordnen, aber sie vermitteln noch keine Erkenntnis über die Wirklichkeit. Hinter dem KAMPF UM DIE PASSENDEN WÖRTER stehen vor allem weltanschauliche und geschechterpolitische Positionen. Hierbei geht es um die Bilder vom Kinde und vom Werden des reifen Menschen. Hinein spielt auch die Auseinandersetzung zwischen Frauen und Männern. (Noch vieles mehr wäre zum IDEOLOGISCHEN CHARAKTER der Kampagnen contra und pro Pädophilie zu sagen.) Bei diesen Kämpfen - es sollen MENSCHEN FÜR MEINUNGEN GEWONNEN WERDEN - ist es auch schon einmal wichtig, Begriffe mit einem bestimmten Inhalt zu besetzen. So wurden denn die WORTBEDEUTUNGEN VON "PÄDOPHILIE" UND "SEXUELLER MISSBRAUCH", beginnend mit einem Strom amerikanischer Publikationen, miteinander GLEICHGESETZT; alle möglichen Unterschiede wurden EINGEEBNET, D.H, GELEUGNET. - Für die Kampagne war das ein Sieg, - für die Sexualwissenschaft eine Niederlage. Um aus dem letztlich unfruchtbaren Streit über Wörter herauszukommen, wird man sich wieder mehr auf THEORIE UND EMPIRIE besinnen müssen. - Was sind unsere Vorstellungen von sexueller Sozialisation? - Wie sind die intergenerationellen Beziehungen, auch im Sexuellen, tatsächlich beschaffen? Nach dem Getöse der Feldzüge für zu schützende Kinder, gegen missbrauchende Männer werden wir weiterdenken und neu forschen müssen. ___ ZUM BISHERIGEN STAND DER FORSCHUNG Zwischen ausbeuterischen und liebevollen Handlungen zu unterscheiden, wird ausdrücklich abgelehnt ((bisher)). - Es auch nur als Möglichkeit ins Auge zu fassen, - dass ein angebbarer Teil jener Kontakte das Kind vielleicht gar nicht schädige, - gilt als unseriös. Untersuchungen, die genau dies glauben nachweisen zu können, werden von beinahe sämtlichen Fachzeitschriften nicht zur Veröffentlichung angenommen. Über den moralischen Charakter all dieser Entscheidungen ist man sich durchaus im klaren, sieht aber gleichwohl keinen Forschungsbedarf. Die Figur der Pädophilie aus dem Sammelbegriff des sexuellen Missbrauchs wieer herauszunehmen, wäre unverantwortlich, wenn diese Form der Sexualität für die adressierten Kinder genau so schädlich wäre, wie es Vergewaltigung, Inzest, Belästigung und sonstige Übergriffe wohl zweifellos sind. Welche langfristigen Auswirkungen haben sexuelle Erfahrungen, die Kinder mit Erwachsenen machen mussten? Wider Erwarten wirft die Lektüre der Fachliteratur mehr Fragen auf, als sie beantwortet. - Der blosse Altersunterschied - und die moralische Missbilligung solcher Akte machen in vielen Schriften das betroffene Kind zum "Opfer" (führend: David Finkelhor (Sexually victimized children, New York, Free Press, 1979). Dich bedeutet das - nur eine Wortwahl, - die Schädigung zwar unterstellt, - nicht aber beweist. Wie ALLIE KILPATRICK in ihrem Forschungsüberblick überzeugend demonstriert (Childhood Sexual Experiences, in "Journal of Sex Research" 23, 1978, S. 173-196), sind - Voraussetzungen, - Arten und - Ausmass der Negativkonsequenzen bislang nur fragmentarisch geklärt. Kilpatrick vegleicht die vorhandenen psychologischen Studien über Langfristwirkungen. Zunächst steckt sie den mehtodischen Rahmen ab, innerhalb dessen das Forschungsfeld Probleme aufwirft: wie die Konzepte definiert werden (Beispiele: ... Welche Handlungen sind "sexuell"? Bis zu welchem Alter ist jemand "Kind"? Welche Stichproben können untersucht werden? Die Mehrzahl der geprüften Studien weist Mängel auf: - unklare Konzepte - kleine und verzerrte Stichproben, - fehlende Prüfung der Kausalität etc. Diejenigen Untersuchungen, welche den normalen STANDARDS psychologischer Forschung einigermassen entsprechen, berichten tatsächlich über Schäden - doch vor allem als Folge von Inzest. Viele BESONNENE WISENSCHAFTLER/INNEN halten daran fest, Pädophilie im engeren Sinne nicht mit Kindesmissbrauch in denselben theoretischen und politischen Topf zu werfen. Solche DIFFERENZIERENDEN STIMMEN kommen beispielsweise von - Gisela Bleibtreu-Ehrenberg, - Kurt Freund, - Berl Kurchinsky und - Eberhard Schorsch - allesamt mit einem breiten Überblick über sexuelle Phänomene. Für den "Eintopf" hingegen stimmen vor allem diejenigen, die ausschliesslich Vergewaltigung und Missbrauch diskutieren (beispielsweise Elisabeth Trube-Becker). Folgerichtig ordnen sie diese Probleme - weniger dem Sexuellen, - sondern vor allem der patriarchalen Herrschaft zu. WO VERLÄUFT DIE TRENNLINIE ZWISCHEN PÄDOPHILIE UND KINDESMISSBRAUCH? Die Kriterien hierfür lauten: - Frewilligkeit und - Schädigung. Der Missbraucher ist einer von jenen zahlreichen Männern - und es sind ganz überwiegend Männer - die sich an Kinder heranmachen, ohne eigentlich den kindlichen Körper für eine sexuelle Partnerschaft zu begehren. Pädophile hingegen sind Menschen, welche Kinder erotisch finden, Kinder auch lieben, eine Freundschaft mit einem Kind begründen, um darin auch sexuelle Erfüllung zu finden. Der Begriff des Kindesmissbrauchs beinhaltet, dass der kleine Mensch geschädigt wird. - Diese Schädigung ist bei den Kontakten mit den echten Pädophilen - sehr fraglich. Sie gehen ausserordentlich vorsichtig vor, sie erleben viel weniger Sexualität, als gemeinhin angenommen wird. - Sie zielen gar nicht unmittelbar auf Sexualität, - sondern zunächst auf die erotische Beziehung zu dem Kind. Da verhalten sie sich nicht anders als wir anderen Erwachsenen gegenüber unseren Partnern: - Wir begründen eine intime Beziehung, - in der auch Sexualität stattfinden kann, - wenn der andere Teil einverstanden ist. KÖNNEN KINDER ((ÜBERHAUPT)) IN DIESE SEXUALITÄT EINWILLIGEN? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die sexuelle Handlungsfähigkeit des Menschen mit einem Schlag da ist, wenn er mündig wird oder wenn er ein strafrechtlich erlaubtes Objekt sexuellen begehrens geworden ist, also mit 14. - Ich denke, dass die sexuelle Handlungsfähigkeit sich von der Geburt ab entwickelt. - Deswegen macht ein Kind sehr früh bereits Erfahrungen mit sich und mit anderen. In dem Mass, wie ein Kind sich entwickelt hat, kann es auch einer sexuellen Interaktion zustimmen - wobei die Sexualität dann für ein Kind immer etwas anderes bedeuten wird als für den Erwachsenen. Gerade weil diee Überlegung so allgemein gehalten ist, ja beinahe spekulativ klingt, bleibt der PUNKT HEIKEL. - Es ist deshalb so schwierig, - weil wir so wenig über das kindliche sexuelle Verlangen wissen. Viele gehen davon aus, dass ein Kind überhaupt nicht in etwas einwilligen kann, was den Erwachsenen vorbehalten sein soll. Nach meinem Eindruck gibt es so etwas wie eine - natürlich Willensübereinstimmung, die nicht bedeutet, dass beide in dasselbe eingewilligt haben, wohl aber, dass das Kind den zurückgenommenen Formen des pädophilen Wünschens zugestimmt hat und dann - einiges mit sich machen lässt, - was ihm selber Spass verschafft. Die Probleme treten eigentlich erst später auf, - wenn dem Kind gesagt wird, - es hätte hier etwas Unmoralisches und Unmögliches getan. Dann fängt auch das Kind an, an seiner eigenen Fähigkeit zur Zustimmung zu zweifeln. Fragwürdig ist die Bereitschaft, - die kindlichen Adressaten sexueller Avancen - vorschnell und ausschliesslich - in einer Täter-Opfer-Optik zu betrachten. Der Sexualpädagoge Georg neubauer sieht hier eine - "Entmündigungssituation für das Kind". - Hilfeleistung oder Aufdeckung ohne Einwilligung des Kindes bedeuten, so Neubauer, - "wieder einmal eine Grenzverletzung und eine Wegnahme von Entscheidungs- und Handlungskompetenz. Das Stigma "Opfer" erzeugt den Eindruck, Kinder, Jugendliche und Frauen seien hiflos und müssten beschützt werden, da sie - nicht zu wissen scheinen, - was für sie richtig und gut ist." Die Autoren vermuten, - "dass weniger der Missbrauch, - sondern eher die Opfer-Stigmatisierung von Kindern deren Entwicklung verbaut." Der Begriff der - sexuellen Selbstbestimmung - ist kein blosser Wertbegriff, - der alleine in ethischer Reflexion zu gewinnen wäre. Die Erhebung von Neubauer u.a. zeigt, - welche Vorstellung von Missbruch - die Kinder selbst hegen. Eist überraschenderweise ein einger Begriff, beschränkt auf Vergewaltigung und nichtgewollte Übergriffe durch Fremde. Erst wenn die ALTEN IDEEN - vom "asexuellen Kind" und - von einer "Latenzphase" aus unseren Köpfen verschwinden, werden wir einen klaren Blick auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung bekommen. Neubauer u.a. forschen unvoreingenommen und erzielen bemerkenswerte Ergebnisse. "Gerade in unserer Arbeit konnten wir erfahren, - dass Kinder schon unter zehn Jahren Vorstellungen darüber haben, - was Sexualität sein könnte - und was sie als sexuellen Missbrauch für sich definieren. - Einerseits würden sie sexuelle Übergriffe zulassen, - wenn ihnen die Person sympathisch erscheint... - Andererseit vermitteln uns die Kinder, dass sie sich durchaus in der Lage fühlten, sich diesen Übergriffen zu entziehen." (Georg Neubaer/Inge Emmerisch/Dirk Achterwinter, "Gefährdungslagen in 'verinselten' Lebensräumen: Sexueller Missbrauch", in: Zentrum für Kindheits- und Jugendforschung, Hrsg., "Wandlungen der Kindheit", Opladen (Leske), 1993, S. 163-181. ___ ABER - DAS MACHTGEFÄLLE ZWISCHEN ERWACHSENEN UND KIND? Auch wir haben anfänglich vorausgesetzt, dass eindeutig ein Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kind besteht. Wir waren aber im Verlauf der Interviews überrascht, - wie sehr sich die Männer in acht nehmen müssen - damit ein Kontakt überhaupt zustandkommt und aufrechterhalten bleibt. Offensichtlich verfügen die Kinder auch über Mittel - den Mann auf Abstand zu halten - und damit das Verhältnis auf gewisse Weise gleichberechtigt zu gestalten. In der geschlechtlichen Intimitä treten die Beteiligten einander gewissermassen nackt gegenüber - entkleidet der Attribute des äusseren Lebens. Dominanz kommt hier anders ins Spiel als sonst. Mit Geld, Intelligenz oder Körperkraft kann ich vielleicht den genitalen Kontakt zu jemandem kaufen, herbeireden oder erzwingen - - niemals aber die Hingabe, - an der es dem sexuellen Verlangen gelegen ist. Wer sagt denn, dass - eine sexuelle Begegnung nur dann gelingt, - wenn die Partner sozial gleichauf sind? Das individuelle Begehren mag so beschaffen sein (meines zum Beispiel); aber das ist - nicht der einzig - denkbare Fall. Werden wir hierzu einen Blick auf die IDEENGESCHICHTE der Liebe. Der Philosoph Gernot Böhme schreibt: "Eros - als Typ der Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen - hat seine Ausprägung in der griechischen Knabenliebe erhalten. ... Die Grundstruktur der Erotik besteht in ihrer Asymmtrie: - Das griechische Verb "erato" (ich liebe) bezeichnet - nnur die Beziehung des Mannes zum Jüngling, nicht umgekehrt. ... Liebender und Geliebter sind nie gleichwertig, sie lieben sich nicht gegenseitig, die Liebe ist ein ausgesprochen ungleiches Spiel... - Alle Bemühungen des Liebenden sind darauf gerichtet, den Geliebten in das Spiel hineinzuziehen, aber was er erreichen kann, ist keinesfalls Gegenliebe, sondern allenfalls, dass sich der Geliebte überhaupt auf die Sache einlässt und dem Liebenden gewährt, was dieser will". (Gernot Böhme, "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht", Frankfurt/M., Suhrkamp, 1985, S. 101-102). Nicht, dass heutige pädophile Beziehungen ebenso beschaffen wären, nein. Es geht vielmehr um - die schwierige Frage - der Gleichheit innerhalb unserer Kultur. Die Pädoeroten haben das leibliche, seelische und seuelle Wohl ihres kindlichen Gegenübers im Auge. Genitale Wünsche zu wecken ist ihr vorsichtig angestrebtes Ziel. - Aber sie machen bald die Erfahrung, dass das Kind das Sexuelle nicht in gleicher Weise erlebt wie sie selber. - Ihnen bleibt nicht verborgen, dass ein Kind - vor allem ein jüngeres - Lust zunächst an sich selbst erlebt. - Mit einem Interesse des Kindes an der Genitalität des Erwachsenene können sie, zumindest anfänglich, nicht rechnen. - Allenfalls Neugier, Informationsbedürfnis und dergleichen stellen sie fest. Es hindert ein Kind so gut wie nichts daran, einfach wegzubleiben. - Jeder der von uns befragten Pädophilen fürchtet, dass das Kind ausbleibt. - ... Sie haben also nicht wirklich Macht über das Kind. Mit seiner Autorität kann der Pädophile bei Kindern nur ganz wenig ausrichten. Er sucht sich auch nicht verängstigte Kinder, sondern selbstbewusste Knaben und aufgeschlossene Mädchen. Und die lassen sich heute nicht davon einschüchtern, dass da ein Erwachsener ist, der grösser ist, der gebildeter ist, der mehr Geld hat. Hier müssen wir auch die historische Entwicklung der Kindheit berücksichtigen. Die Veränderung des Generationenverhältnis wird von Neubauer u.a. so beschrieben: "nicht Disziplin und strikter Gehorsam sind heute erzieherische Norm, - sondern die Förderung der Selbständigkeit, - Kooperationsbereitschaft - und die Kommunikationsfähigkeit der Kindern, - die nicht durch Autorität, sondern partnerschaftlich- argumentierendes Verhalten vermittelt werden. Diese Entwicklung führt zu einer - Abnahme des Machtgefälles und der Konflikte zwishen Eltern und Kinder. Das Verhältnis zwischen den Generationen - ist somit zwar liberaler und offener, - aber gleichzeitig auch fragiler, emotionaler und kompleer geworden." ___ LÄSST DER PÄDOPHILE DAS KIND FALLEN, WENN ES IHM "ZU ALT" WIRD? Die Männer ziehen sich nur sexuell von den kindlichen Freundinnen und Freunden zurück, wenn die Altersgrenze überschritten wird. Es wird von Fällen berichtet, wo daraus eine jahrzehntelange Freundschaft geworden ist. - Der pädophilen Beziehung wohnt selbstverständlich ein transitorischer Charakter inne: - der Mann weiss, dass der Junge oder das Mädchen seine KINDLICHKEIT verlieren wird; er sieht und beobachtet diesen Vorgang, manchmal sogar mit einer gewissen Lust an der Entwicklung des Kindes. ___ WIE IST DIE PÄDOPHILIE ZU BEWERTEN? Kinder wachsen unter sehr verschiedenen Bedinungen auf: guten, weniger guten, schlechten oder gar zerstörerischen. Nur wenige Situationen können ideal genannt werden, und wahrscheinlich gehört das, was ein pädosexuell Interessierter bietet nicht dazu ((?)). Aber es kann immer noch - viel besser sein - als die Umgebung, - aus der solch ein Kind kommt - und aufgrund deren es ansprechbar geworden ist. Wo niemand sonst sich um ein Kind angemessen kümmert, da kann ein Pädophiler in die Lage geraten, es zu retten und zu fördern. Unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls - mag dies dann sogar als das Beste gelten, - was dem kind widerfahren konnte. So wird man Pädophilie nicht als die "beste" Sexualform bezeichnen, was es sowieso nicht gibt. In bestimmten Fällen kann sie durchaus etwas Zweitbestes sein, dort nämlich, wo Besserer nicht erreichbar ist, und dann mag sie sogar ein Glück für das Kind bedeuten. Um es mit Eberhard Schorsch zu sagen: "Aussagen über die Schädlichkeit (können nur) eine genauere Untersuchung von Einzelfällen gelingen". (Eberhard Schorsch, "Perversion, Liebe, Gewalt", Stuttgart (Enke), 1993, W. 171) ___ SOLL DER MISSBRAUCHS-PARAGRAPH GEÄNDERT WERDEN? Leser F:"...Ich denke an Ihre Forderung, geschlechtsreifen jungen Menschen sexuelle Selbstbestimmung einzuräumen". Forderungen für das geltende Straftrecht anzumelden, schien mir in meinem Buch als verfehlt. - Das ganze Buch ist "als solches" ein Plädoyer für eine - Neubewertung der Pädophilie... Wenn überhaupt momentan auf dem Gebiet des Strafrechts etwas unternommen werden kann, dann ist es der - Appell an die Gerichte, - die Pädophilen anders "anzufassen", - als das bislang geschieht. Bisher werden sie als ÜBERZEUGUNGSTÄTER besonders hart bestraft, und hiergegen wende ich mich ausdrücklich. - Für die Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs ist der Paragraph 176 StGB richtig. - Die Verurteilung von Pädophilen hingegen wird von mir als ungerecht empfunden. Konsequenzen wünshe ich mir also für die Anwendung der vorhandenen Regeln: - dass die Neigung zu Kindern, - wenn anständig ausgelebt, - nicht be- sondern entlastet. Problematisch sind die neuen Vorschriften in Deutschland und Österreich, wonach das blosse Besitzen kinderpornographischen Materials bestraft werden soll. - Die Idee dahinter ist, - den Herstellungsprozess zu treffen, - indem die Nachfrage ausgetrocknet wird. Weil man aber die Produzenten nicht erreichen und den Handel nicht unterbinden kann, wird nun beim Kunden angesetzt. SIND PÄDOPHILE GLÜCKLICH? Diese Frage könnte als rhetorisch erscheinen, angesichts all der Vorverurteilungen, die auf die Kindesliebhaber gerichtet sind. Zum Monster gestempelt, kann das Leben nicht eben leichtfallen. - Die soziale Kontrolle leuchtet nach und nach in alle Nischen hinein, - in denen früher pädophiles Begehren gelebt werden konnte. Nie war der soziale Druck stärker als heute. - Immer schon uneinsichtig wachen Polizei, Justiz und Jugendbehörden. - Daneben haben öffentliche Meinung und Moral eine immer noch zunehmende Aufmerksamkeit entwickelt. Von diesen Kontrollen wie zwischen Mühlsteinen zerquetscht, überlebt aber nach wie vor ein sexuelles Begehren, dessen Realität einen wahrlich gebeutelten Eindruck macht. Können Pädophile unter diesen Umständen glücklich sein? - In ihren Liebesbeziehungen: durchaus ja. - Mit ihrem Leben: nein. Das biographische Unglück ist nicht zu trennen von der Stärke des Verlangens und der gelegentlichen Erfüllung ihrer Wünsche. - Die pädophile Lebensform wählt sich niemand, der nicht muss. - Alle haben versucht,ihr auszuweichen. Die Anpassung gelang nicht. Das Unglück entsteht nicht aus dem Umstand, dass die Kinder gross werden... Das Unglück resultiert - aus der extremen Entwertung, - die sich in den Achtzigerjahren noch mal verschärft hat. Besonders die Nachdenklich leiden darunter - und sie reagieren - mit Selbstvorwürfen - und Entzug. Die Dissonanz zwischen - dem inneren Ideal - und sozialer Degradierung kann die Seele entzweireissen. Gleichwohl will mir der Idealtypus der Pädophilie, wie ich ihn in meinem Büchlein gezeichnte habe, nicht als blosse Utopie erscheinen. So manches Interview hat uns gelungene Beziehungen dieser Erwachsenen zu Kindern geschildert... Solche Nachrichten beeindrucken auch Andere, wie ich mancher Anfrage und Rezension entnehmen konnte. So bezeichnete Petra Reinfelder jene Passagen des Buchs als beachtenswert, "in denen Pädophile schildern - mit welch einfühlsamer Aufmerksamkeit sie die Kinder beobachten - ihre Reaktionen beobachten und interpretieren, - um nur ja nichts Falsches, dem Kind Unerwünschtes zu tun. Das mag sicher zum Teil aus Selbstschutz geschehen, schliesslich wollen sie vermeiden, als Belästiger von Kindern aufzufallen. Aber es zeigt sich auch eine Sensibilität und differnezierte Zuneigung zu den Kindern, von denen so mancher "normale" Kinderfreund - wie Eltern oder Lehrer - eine Menge lernen könnten." Auch in der BELLETRISTIK, die in der Vergegenwärtigung sexueller Szenarios schon oft der Wissenschaft vorausgeeilt ist, gibt es Darstellungen, welche die Lebendigkeit, die Lebensfähigkeit der Pädophilie vorführen. Hier imponieren mir insbesondere die Erzählungen von Friedrich Kröhnke. ___ Ausblick Die Selbstzeugnisse der Befragten belegen, dass die echte Pädophilie existiert. Der prominente amerikanische Sexualsoziologe Willieam Simon hat jüngst prognostiziert, die Pädophilie werde wahrscheinlich weiterhin ein bedeutender Teil der sexuellen Abweichungen ("Perversionen") bleiben. Aber Simon weist auch darauf hin, dass die gegenwärtige Redekonjunktur die Pädophilie "dem Horizont der Plausibilität näherbringt" ((William Simon, "Deviance as History", in "Archives of Sexual Behavior 23", 1994, S. 1-20)). Ich meine: - das soziale Klima zwischen den Generationen ändert sich, - auch das sexuelle.