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Der pädophile Impuls (Studie)

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Der Artikel Der pädophile Impuls (Studie) gehört zur Kategorie: Ethnologie, Kulturwissenschaft, Klinische Psychologie, Sexualwissenschaft, Soziologie, Verhaltensbiologie
Der pädophile Impuls - Wie lernt ein junger Mensch Sexualität? ist eine erstmals 1985 in gekürzter Form veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit der deutschen Soziologin Gisela Bleibtreu-Ehrenberg mit weiteren Doktortiteln u. a. in Ethnologie, vergleichende Religionswissenschaften und Philosophie, sowie mit weiteren Arbeits- und Forschungsschwerpunkten in Psychologie und vergleichende indogermanische Sprachwissenschaften; die erste ungekürzte Veröffentlichung der Arbeit erfolgte 1988 auf Englisch.

Die besondere Bedeutung von Der pädophile Impuls ergibt sich daraus, dass es sich bei der Arbeit, neben später Feierman 1990Jay R. Feierman (1990; Hrsg.): Pedophilia: Biosocial Dimensions, Springer, New York, ISBN 0-387-97243-9 (wo Irenäus Eibl-Eibesfeldt, s. u., aktiv mitwirkte, anstatt wie bei Der pädophile Impuls lediglich zitiert zu werden), um weltweit die einzige bekannte wissenschaftliche Monographie zur Pädophilie handelt, die das Studienobjekt nicht allein unter Gesichtspunkten der Psychologie, Soziologie, Geschichtswissenschaft und Ethnologie, sondern darüberhinaus vor allem der Anthropologie wie Zoologie betrachtet.

Zeitpolitischer und millieubezogener Kontext der Arbeit

Ähnlich wie andere während der siebziger und achtziger Jahre auf den Gebieten Homophobie und Sexualstrafrecht forschende Wissenschaftler in der BRD und Westeuropa wie etwa Joachim S. Hohmann, Rüdiger Lautmann, Günter Amendt, Michael Baurmann oder Theo Sandfort gelangte Dr. Bleibtreu-Ehrenberg über diese Themen recht schnell zur Erforschung der Pädophilie. Burkhard Jellonek spricht in diesem Zusammenhang 1991 in seinem Buch Homosexuelle unter dem Hakenkreuz von einer abklingenden europäischen: „Pädophiliedebatte“Burkhard Jellonek: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz - Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich, Schöningh 1991 (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), Paderborn, S. 177ff. ISBN 3-506-77482-4 (beachte besonders die dortige Fußnote zur: „Pädophiliedebatte“) innerhalb der Wissenschaften und linksgerichteten wie liberalen Teilen des Bildungsbürgertums (dort nicht etwa allein der sog. 68er), die nicht mit der späteren, von breiteren Schichten geführten Debatte zum sexuellen Missbrauch zu verwechseln ist; eine Auswirkung dieser früheren Debatte war laut Karl CervicKarl Cervic (2001): Was ist Pädophilie? - Annäherung an ein strittiges Thema, Books on Demand GmbH, Norderstedt, S. 59. ISBN 3-8334-2730-2 die Tatsache der Personalunion des damaligen Präsidenten des deutschen Kinderschutzbundes Prof. Dr. Walter Bärsch, der zugleich Vorsitzender der pädophilen Emanzipationsgruppen nahestehenden Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität war.Ursula Enders: Die Schreibtischtäter, in: Merkur, 9./10. Ausgabe, Okt./Sept. 1996

Wissenschaftlicher Hintergrund, Bezüge und Datenmaterial

Ausgehend u. a. von

  • ihren Forschungen zur abendländischen Leibfeindlichkeit, zur sittlichen Ideengeschichte, sowie ihrer soziologischen Forschung zur Homosexualität in Tabu Homosexualität,
  • ihren unter dem Titel Mannbarkeitsriten: Zur institutionellen Päderastie bei Papuas und Melanesiern (1980) sowie (ungenannt) Der Weibmann - Kultischer Geschlechtswechsel im Schamanismus (1984) veröffentlichten ethnologischen Studien,
  • den anthropologischen, zoologischen sowie verhaltenswissenschaftlichen Arbeiten von Jane Goodall, Bernhard Grzimek, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Alison Jolly, Bourne & Cohen, Brewer, Dröscher, Kurth, Overhage, Schaller, Baumgärtel, Ford & Beach sowie Meyer,
  • den wissenschaftlichen Studien und Veröffentlichungen zur Pädophilie und kindlichen Sexualität von Frits Bernard, Edward Brongersma, Theo Sandfort, Michael Baurmann, Hans Giese, Joachim S. Hohmann, V. E. v. Gebsattel, Constantine & Martinson
  • sowie eigener soziopsychologischer Forschung zur Pädophilie

kommt Dr. Bleibtreu-Ehrenberg zu dem Schluss, dass es einen als Pädophilie benennbaren Impuls unverändert im Tierreich, bei Primaten, bei Naturvölkern, in der griechischen Antike, sowie in den modernen westlichen Industriestaaten gebe.

Inhalt

Pädophilie und Pseudopädophilie

Dieser pädophile Impuls sei nicht mit der ethnozentrischen westlichen Auffassung und Wahrnehmung von Kinderschändern zu verwechseln; die solcherart: „verzerrte Wahrnehmung“, so Dr. Bleibtreu-Ehrenberg, stütze sich zum einen Teil auf die althergebrachte abendländische Leibfeindlichkeit (wobei Dr. Bleibtreu-Ehrenberg gegen Ende der Arbeit ausdrücklich den von John Money popularisierten Begriff der „Paraphilie“ als unverhüllte Übernahme des bereits aus der forensisch-sozialhygienischen Medizin früherer Jahrhunderte wohlbekannten, ehemals insbesondere für die Homosexualität bemühten moralischen Wahnsinns kritisiert, s. a. Tabu Homosexualität), zum anderen auf die irrige Annahme, jegliche Sexualhandlungen zwischen Kindern und Erwachsenen seien stets auf Pädophilie zurückzuführen. Wahr sei jedoch vielmehr, dass überall da, wo gegen den Willen von Kindern gehandelt werde, nicht von Pädophilie zu sprechen sei, sondern von einer oft mit dieser verwechselten Pseudopädophilie.

Diese Unterscheidung Dr. Bleibtreu-Ehrenbergs zwischen Pädophilen und Kinderschändern geht im Grunde auf das 1886 vom Freiherrn Richard v. Krafft-Ebing in der Psychopathia sexualis eingeführte dreiteilige Unterscheidungsschema Ersatzobjekttäter, Sadist, sowie Pädophiler bei Vorliegen sexueller Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen zurück; dieses findet man in der Fachliteratur auch unter den zumeist von den englischsprachigen Ländern ausgehenden Bezeichnungen strukturierter, preferentieller, fixierter oder modellierter Tätertypus (Pädophilie) einerseits und situationeller, opportunistischer, regredierter/regressiver oder sadistischer Tätertypus bzw., ohne Änderung, Ersatzobjekttäter (Kinderschänder) andererseits, s. zu dieser Unterscheidung übereinstimmend u. a. Alfred Kinseys Arbeiten; Howells 1981; Abel, Mittleman & Becker 1985; Knight u. a. 1985; Brongersma 1991; McConaghy 1993; Lautmann 1994; Ward u. a. 1995, Hoffmann 1996, Seikowski 1999.

Evolutiver Ursprung im Tierreich

Pädophilie begründe sich im Unterschied zur Pseudopädophilie laut Dr. Bleibtreu-Ehrenberg zwar auf einem zu kindlicher Sexualität kompatiblen Bedürfnis nach einvernehmlichen Doktorspielen (anstelle erwachsener Formen von Sexualhandlungen, vrgl. hierzu auch übereinstimmend Bornemann 1985; Sandfort 1987; Brongersma 1991; Lautmann 1994; Hoffmann 1996; Dieth 2004; Vogt 2006) zur Befriedigung aktiven kindlichen Neugierverhaltens (Dr. Bleibtreu-Ehrenberg weist hier ähnlich wie u. a. der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung Dr. Ernest BornemannDr. Ernest Bornemann: Das Geschlechtsleben des Kindes - Beiträge zur Kinderanalyse und Sexualpädologie, München/Wien/Baltimore 1985, Urban & Schwarzenbek. ISBN 3-541-14191-3 (2. Auflage München 1988, Deutscher Taschenbuch-Verlag), Dr. Sandfortu. a. Dr. Theo Sandfort: The sexual aspect of paedophile relations - The experience of twenty-five boys, Amsterdam 1987, Pan/Spartacus, S. 46ff, S. 62ff. ISBN 90-70154-17-X, Dr. Lautmann („sorgfältig entwickelte Konsensstrategie“)Dr. Rüdiger Lautmann: Die Lust am Kind - Portrait des Pädophilen, Hamburg 1994, Klein Verlag, S. 78ff. ISBN 3-89521-015-3 (Beachte dort besonders S. 92: „Einem Großteil der heterosexuellen Männer würde eine so sorgfältig entwickelte Konsensstrategie [wie die pädophile] im Umgang mit Frauen gut anstehen.“) Vrgl. auch denselben Autor: Pädophilie, darf es die geben? - Anfragen anläßlich eines Buches, in: Dr. Frits Bernard, (Hrsg.), Pädophilie ohne Grenzen - Theorie, Forschung, Praxis, Foerster Verlag, Frankfurt/Main. ISBN 3-9222-57836, wo Lautmann betont, dass aus seriöser wissenschaftlicher Sicht auch 1997 noch weiterhin grundsätzlich ein Unterschied zwischen den Handlungen Pädophiler und Sexuellem Mißbrauch zu machen sei, und dass auch Dr. Bleibtreu-Ehrenberg zu dieser Zeit nachwievor zu ihren 1985/88 in Der pädophile Impuls gemachten Aussagen stehe. oder Dr. Brongersmau. a. Dr. Edward Brongersma (Hrsg. Angelo Leopardi): Loving boys - Das pädosexuelle Abenteuer, 2 Bände, Frankfurt/Main 1991, Foerster Verlag, ISBN 3-922257-71-2 Vrgl. a. Dr. Edward Brongersma (1990): Boy-Lovers and Their Influence on Boys - Distorted Research and Anecdotal Observations, in: Journal of Homosexuality, 20. Ausgabe (engl.) ausdrücklich darauf hin, dass laut einschlägiger Forschung Pädophile nicht dazu fähig seien, gegen den Willen von Kindern zu handeln und jegliches Unwohlsein von Kindern auch sie emotional negativ beeinflusse), gehe jedoch als eine von der Evolution bereits im Tierreich hervorgebrachte genetische Veranlagung zur auch, aber nicht nur Sexualität vermittelnden zärtlich-affektiv besetzten Pflege, Aufzucht und Sozialisation genetisch nichtverwandten Nachwuchses darüber hinaus. Diese für beide Seiten sowohl physisch wie psychisch positiv-affektiv besetzte Vermittlung sei notwendig, da anders als bei Reptilien und Vögeln die Auslebung von Sexualität wie das gesamte Sozialverhalten bei höheren Wirbeltieren gemeinhin ausschließlich durch Sozialisation erworbene Fähigkeiten seien; isoliert aufgezogene Tierexemplare seien zu beidem nicht oder allenfalls extrem dysfunktionell fähig, und zwar auch dann, wenn schon mit Beginn der Pubertät eine Heranführung an eine oder beide der Fähigkeiten durch Aufhebung der Isolation versucht wird.

Vrgl. zu diesem von Dr. Bleibtreu-Ehrenberg betonten, mit dem evolutiven Höhersteigen innerhalb der Evolutionsskala einhergehenden Übergang von reinem Instinkt- hin zu zunehmend mittels des klassischen Musters Imitation durch Identifikation erlerntem Handeln die neuere Forschung zu den Spiegelneuronen des höher entwickelten Tier- und Primatenhirns (einschließlich des Menschen), welche die neuronale Grundlage für das von Soziopsychologen wie Verhaltensbiologen seit längerem beobachtete soziale Lernen aufgrund Imitation durch Identifikation darstellen.

Allerdings sei bei den Primaten (einschließlich des Menschen) ein geringeres Vorkommen dieser bestimmten genetischen Veranlagung zu finden; nicht alle, sondern nur eine bestimmte Anzahl etwa von isoliert aufgezogenen Affenexemplaren beiderlei Geschlechts zeige im Erwachsenenalter einen automatischen Trieb zur Pflege und Fürsorge junger Artgenossen im Kindesalter, der im Falle der Nichtverwandschaft auf jedenfall die Vermittlung von Sexualität in Form von beiderseits affektiv besetzten Doktorspielen mit einschließe. Es sei jedoch nicht zu beobachten, dass mit dem geringeren Vorkommen eine verminderte Nützlichkeit dieses Sozialverhaltens einhergehe, da jedes pädophil veranlagte Exemplar aufgrund mangelnden Monogamiegebots im Tierreich für eine Reihe von Jungtieren zusätzlich oder auch selbständig und unabhängig zur Sexualität nicht beinhaltenden Aufzucht durch genetische Verwandte sorgen könne.

Der pädophile Impuls sei bei den entsprechend veranlagten Individuen stammesgeschichtlich von der Evolution fester verankert als der Brutpflegeinstinkt aufgrund genetischer Verwandschaft, wie etwa der Mutterinstinkt, bei den höheren Wirbeltieren allgemein. Während pädophile Exemplare auch im Falle der vormaligen Isolation stets mit Schutz- und Pflegehandlungen auf junge Artgenossen reagierten, mit denen sie im Falle genetischer Nichtverwandschaft beiderseits affektiv besetzte Doktorspiele ausführten, töteten isoliert aufgezogene Schimpansenmütter, die über diesen angeborenen Impuls offenbar nicht verfügten, oft sogar ihren als rätselhaften Störfaktor empfundenen eigenen genetischen Nachwuchs.

Kindchenschema und Einvernehmlichkeit

Eine wichtige Rolle nicht nur für die Pädophilie, sondern zum Teil für das gesamte Sozialleben einer Spezies spiele laut Dr. Bleibtreu-Ehrenberg in Bezug auf ihre obengenannten zoologischen und anthropologischen Quellen das Kindchenschema, das nur zu einem geringeren Teil anatomisch, dafür umso mehr sozialkommunikativ, hier besonders körpersprachlich, bestimmt und somit ebenfalls erlernt sei. Die statistisch größte Bedeutung besitze das Kindchenschema als Schlüsselreiz („Wen muss ich schützen und pflegen?“) für den Schutz des eigenen genetischen Nachwuchses, an dritter Stelle stünde die Sexualität unter Erwachsenen, da sich auch dort die zärtlichen Reaktionen auf das sozialkommunikativ vermittelte, zur affektiven Reaktion des Gegenübers eingesetzte Kindchenschema sowohl bei Mensch und Tier auswirkten.

Genau dazwischen liege das Verhältnis Kindchenschema und Pädophilie. Dem Säuglingsalter entwachsene Jungtiere und Menschenkinder setzten (wie oft sogar nichtpädophil veranlagte Erwachsene untereinander) vornehmlich gegenüber pädophil veranlagten ausgewachsenen Exemplaren das Kindchenschema teils bewusst, teils unbewusst ein, um so die zärtlich-affektiv besetzten, die Vermittlung von Sexualität mit einbeziehenden Schutz- und Pflegeinstinkte des Erwachsenen hervorzurufen.

Gerade pädophil veranlagte Exemplare seien in einem Grad empfänglich für die Verknüpfung einer bestimmten biologischen Altersspanne jenseits des Säuglings mit dem sozialkommunikativen und körpersprachlichen Kindchenschema (sowie mit dem ähnlich angewandten, oben erwähnten kindlichen Neugierverhalten, hier nun als einziger angeborener Ausdrucksform sozialer Nähe, Zuneigung und Intimität angewandt), dass man sagen könne, dass Pädophilie identisch sei mit der ausschließlich bei pädophilen Exemplaren nachweisbaren instinktiven Schutz- und Pflegereaktion auf das Kindchenschema. Da das Kindchenschema aber kompromisslos Gewaltlosigkeit, Schutz und Pflege gebiete und die instinktiven Reaktionen dazu entsprechend zärtlich-affektiv bestimmt seien, sei die auf dem Kindchenschema beruhende Pädophilie stets gewaltfrei und einvernehmlich, sei dies nun im Falle der Sexualität oder jeglicher anderen sozialen Interaktion. Wo keine Gewaltlosigkeit und keine Einvernehmlichkeit vorliege, sei daher laut Dr. Bleibtreu-Ehrenberg grundsätzlich nicht von Pädophilie zu sprechen.

Vrgl. zu dieser Erklärung von Pädophilie als genetisch bestimmtem Schutz- und Pflegeinstinkt in Reaktion auf das sozialkommunikative Kindchenschema Bernard 1982Dr. Frits Bernard: Pädophilie und Altersgrenzen in: Dr. Frits Bernard, Kinderschänder? Pädophilie, von der Liebe mit Kindern, Foerster Verlag, Berlin, S.89. ISBN 3-922257-41-0 sowie Howells 1981 und McConaghy 1993, wonach besonders die gleichgeschlechtliche Pädophilie nicht ausschließlich sei und zumeist gemeinsam mit gleichgeschlechtlicher Ephebophilie, wenn auch mit Bevorzugung des kindlichen Objekts auftrete; es sei mithin, so besonders Bernard 1982, mit Beginn der Pubertät des affektiv besetzten begehrten Objekts zwar keine „Grenze“ des Begehrens, aber deutlich eine Schwelle wahrnehmbar, wodurch die Form des affektiv-erotischen Impulses des älteren Subjekts sich deutlich ändere, obwohl das grundlegende Vorhandensein des Impulses zum jüngeren Objekt an sich keinesfalls mit Pubertätseintritt radikal ende. Nach Dr. Bleibtreu-Ehrenberg könnte an dieser Schwelle der Übergang vom durch das Kindchenschema ausgelösten Schutz- und Pflegeinstinkt Pädophilie hin zur (weniger zärtlichen und mehr leidenschaftlichen) Normsexualität mit Nichtkindern ablesbar sein.

Sexualität und Aggression als Gegensätze

Weiterhin bemerkenswert ist in dieser Arbeit Dr. Bleibtreu-Ehrenbergs die besondere dargestellte Beziehung von Sexualität (bzw. Bedürfnissen im allgemeinen) und Aggression; beide stellten entgegengesetzte Pole dar. Aggression folge aus der Frustration von Bedürfnissen, und gerade Sexualität, über heterosexuell-genitale Fortpflanzung hinaus, als wichtigste Form des allseitig lustbesetzten Sozialverhaltens (denn Sexualität gebe es allein in der Einvernehmlichkeit aller Beteiligten, sonst sei sie keine) diene sowohl im Tierreich als auch grundsätzlich, ziehe man ethnozentrische leibfeindliche Sozialisation ab, beim Menschen der Vermeidung wie der friedlichen Beilegung von Konflikten (so würden etwa laut Dr. Bleibtreu-Ehrenbergs Vorarbeit Mannbarkeitsriten gerade bei den Naturvölkern schreiende Säuglinge von offenbar durchgängig nepiophilen Frauen mittels Spielen an den Genitalien beruhigt).

Wo jedoch, aus welchen Gründen auch immer, die Auslebung von Sexualität z. B. aufgrund von Tabuisierung eingeschränkt oder gar unterbunden werde, sei gleichzeitig ein enormer Anstieg an Aggression wie gewalttätiger Interaktion zu beobachten, und gleichzeitig sei auch die Auslebung von Sexualität, wo diese dann noch stattfinde, extrem aggressionsbeladen und gewalttätig, d. h. dysfunktionell. Dies zeige sich zum einen im aggressiven Verhalten von isoliert aufgezogenen Tieren beiderlei Geschlechts, die im Erwachsenenalter mit paarungswilligen Artgenossen des anderen Geschlechts zusammengebracht würden, zum anderen auch im grundsätzlich leibfeindlichen Abendland, wo seit Aufkommen des patriarchalischen, indogermanischen Kriegerideals immer schon mit aggressivsten und grausamsten Mitteln gegen Lüsternheit und Unzucht vorgegangen worden sei, und zwar gerade dann, wenn sich diese Maßnahmen gegen vermeintliche oder tatsächliche sexuelle Minderheiten, vulgo: „Abartigkeiten“, richteten.

Vergewaltigung käme deshalb sowohl bei dem westlichen Sexualtabu nicht unterliegenden Naturvölkern, wie auch unter natürlichen Bedingungen unter sämtlichen höheren Wirbeltieren nicht vor.

Diese Einstellung Dr. Bleibtreu-Ehrenbergs gegenüber Sexualität und Aggression unter Heranziehung globaler Statistiken sowie ethnologisch-kulturvergleichender Studien mit darausfolgender Wichtigkeit von körperlicher Intimität gegenüber Kindern ähnelt sehr den Ansichten des amerikanischen Neuropsychologen James W. Prescott, Wissenschaftsadministrator am Nationalen Institut für Kindesgesundheit und menschliche Entwicklung.Dr. James W. Prescott (1975): Körperliche Lust und die Ursprünge der Gewalttätigkeit, in: The Bulletin of The Atomic Scientists, Ausgabe November 1975 Und auch Adorno und Horkheimer hatten schon seit 1944, u. a. in der Dialektik der Aufklärung, ähnliche Gedanken über die Beziehung von Triebverzicht und Aggression geäußert.

Entstehung des modernen Kindheitsbegriffs während der Aufklärung

Des weiteren stimmt Dr. Bleibtreu-Ehrenberg, wie bereits in Tabu Homosexualität angedeutet, auch in dieser Arbeit u. a. mit Edward Brongersmau. a. Dr. Edward Brongersma: Die Erzieher und das Schwert des Damokles, in: Dr. Joachim S. Hohmann (Hrsg.), Pädophilie heute, Frankfurt/Main 1980, Foerster Verlag, S. 173ff. ISBN 3-922257-10-0 Vrgl. a. Dr. Edward Brongersma (1990): Boy-Lovers and Their Influence on Boys - Distorted Research and Anecdotal Observations, in: Journal of Homosexuality, 20. Ausgabe (engl.), sowie den Feministinnen Katharina RutschkyKatharina Rutschky: Schwarze Pädagogik - Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung, Ullstein Materialien, Frankfurt/Main 1977, S. 19ff, 107, 141. ISBN 3-548-35087-9Katharina Rutschky, Michael Schetsche (Hrsg.): Erregte Aufklärung: Kindesmißbrauch - Fakten & Fiktionen, Hamburg 1992, Klein Verlag. ISBN 3-922930-05-0 (diverse erweiterte Neuauflagen, z. T. bei anderen Verlagen, unter dem Titel Handbuch Sexueller Mißbrauch; auch Rutschky betont hier in der Einleitung des Buches, dass es große Unterschiede: „zwischen pädophilem Handeln hier und Kindesmißbrauch da“ gäbe) und Camille PagliaCamille Paglia: The Guide Interviews Camille Paglia - Has the gay movement turned down the wrong path? Bill Andriette talks with Paglia about sex, violence, gay bashing, and liberation, aus der Zeitschrift The Guide, Ausgabe Januar 1990 (engl.) darin überein, dass sich das gegenwärtige spezielle Tabu zu Sexualhandlungen mit Kindern und dem Verlangen danach erst durch Entstehung des modernen Kindheitsbegriffs während der Aufklärung herausgebildet hat. Seit der Aufklärung sei aufgrund von Säkularisation und dem steigenden Einfluss der Wissenschaften eine wenn auch beschränkte, so doch zunehmende Erosion der vorwissenschaftlichen, numinosen Homophobie und Misogynie zu beobachten gewesen. Während beide zunächst durch pseudowissenschaftliche Ideologien weiter am Leben erhalten wurden, verlängerte sich zur gleichen Zeit durch stetige Zunahme des Weltwissens wie steigender Anforderungen an das Berufsleben sprunghaft die Schul- und Ausbildungszeit, deren Abschluss jedoch weiterhin den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenendasein bedeutete.

So verlängerte sich der soziale Kindheitsstatus enorm in das biologische Alter der lustbesetzten Fähigkeit zur Sexualität (in Form von Doktorspielen) und der später einsetzenden Zeugungsfähigkeit hinein, so dass sich das bestehende numinose, leibfeindliche Sexualtabu im Laufe seiner scheinbaren Erosion zunehmend von gleichgeschlechtlichen Handlungen und dem Verlangen danach als reinster Ausprägung abendländischer Leibfeindlichkeit auf Sexualhandlungen mit Kindern und dem Verlangen danach verlagerte und andererseits das imaginäre, aber die gesellschaftliche soziopsychologische Wahrnehmung stark beeinflussende Ideal einer entsexualisierten, geschlechtslosen Kindheit entstand. Dieser Prozess der zunehmenden Verlagerung wurde erst mit der sozialen Anerkennung von Schwulen- und Frauenbewegung während der sechziger und siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts abgeschlossen, so dass bis dato die gleichgeschlechtliche Sexualhandlung noch mehr gefürchtet war als jene mit Kindern.

Gleichzeitig bietet Dr. Bleibtreu-Ehrenberg allerdings eine Alternative zu der von LautmannDie Lust am Kind, op., cit., S. 119ff. Vrgl. auch denselben Autor: Das Szenario der modellierten Pädophilie, in: Rutschky & Schetsche, Handbuch Sexueller Mißbrauch, Ausgabe Rowohlt 1999 geäußerten Ansicht, pädophile Sozialstimuli bezögen sich ausschließlich auf die künstlichen Erfindungen der Aufklärung zum modernen Kindheitsbegriff (Lautmann spricht daher von Einvernehmlichkeit suchender Pädophilie als einer nachträglich vom pädophilen Individuum geleisteten Modellierung seines Begehrens anhand gesellschaftlicher Zwänge), indem sie diese Sozialstimuli als das durch Sozialisation bereits im Tierreich vermittelte Kindchenschema sowie das angeborene Neugierverhalten, und Pädophilie als einen darauf reagierenden Schutz- und Pflegeinstinkt identifiziert.

Vrgl. zu dieser Verlängerung des sozialen Kindheitsstatusses seit der Aufklärung das u. a. von Bornemann angemerkte Faktum der Akzeleration, wonach die Pubertät (in Wachstum, Stimmbruch, Zeugungsfähigkeit, Körperbehaarung, Menarche etc.) in den entwickelten Industrieländern seit 1930, als z. B. der Stimmbruch durchschnittlich noch mit 17,6 Jahren begann, um ca. ein halbes Jahr pro Jahrzehnt früher eintrittAkzeleration im Lexikon sociologicus (Gesellschaftliches Lexikon der Grundbegriffe)Akzeleration im Psychologie-FachgebärdenlexikonAkzeleration auf willi-will-wachsen.deAkzeleration im Roche Lexikon MedizinAkzeleration auf wissenschaft-online.de, um 1980 im Alter von 13,4 und heute sogar schon mit etwa 12 Jahren auftritt, so daß durch das 20. Jahrhundert hindurch das Auseinanderklaffen von gesellschaftlichem Ideal (bzw. der mittels sozialen Lernens vermittelten sozialen Identität) und physischer Wirklichkeit immer stärker hervortritt. Der Gesetzgeber hat dort, wo er am liberalsten auf die Akzeleration reagierte (Niederlande: De-Facto-Schutzalter von 12 Jahren seit 1990 per §245, Absatz 2 und §247, Absatz 2), auf statistische Daten zurückgegriffen, die niemals später als um 1970 erhoben wurden, als dementsprechende legislative Initiativen in Gang gebracht wurden (vrgl. die im Jahre 1973 erfolgte Senkung des Schutzalters auf 14 Jahre im deutschen Recht, den legislativ-reformerischen Kongreß De staat als zeedenmester des niederländischen NVSH im Jahre 1969, die daraus entstandene, u. a. soziopsychologische, medizinische, forensische und juristische Melaikommission unter Vorsitz von A. L. Melai, Kriminalistikprofessor an der Universität Leiden, sowie die vierzehn ebenfalls aus demselben Kongreß entstandenen parallel arbeitenden nationalen Werkgroeps pedofilie z. T. unter Leitung Dr. Bernards und Dr. Brongersmas).

Veröffentlichungsgeschichte

1988 versah Dr. Bleibtreu-Ehrenberg anlässlich einer Neuveröffentlichung in der englischsprachigen, geisteswissenschaftlich ausgerichteten Zeitschrift Paidika - Journal of Paedophilia (Übersetzung ins Englische durch Dr. Hubert Kennedy) Der pädophile Impuls mit weiteren, wiederum bestätigenden Forschungsergebnissen, u. a. von Sandfort (1987; nicht zu verwechseln mit den Veröffentlichungen desselben Autors zum selben Thema von 1979a, 1979b, 1981, 1982, 1986, 1989, 1991, 1994 und 2000).

Die deutsche Erstveröffentlichung von 1985 war von der Redaktion der Vierteljahresschrift für Politik und Kultur Der Monat (gegr. 1948) unter dem Ausgabenthema Liebe, Sexualität und soziale Mythen über die erst später hinzugefügten weiteren Forschungsergebnisse hinaus im Text- wie auch im reichhaltigen wissenschaftlichen Quellenteil massiv gekürzt sowie seiner Eindeutigkeit und Formulierungsschärfe beraubt worden, so dass die 1988 auf Englisch erschiene Fassung dem bis heute unveröffentlichten deutschen Original näherkommt als die 1985 veröffentlichte. Ein unveränderter Nachdruck der englischen Fassung erfolgte 1997 in Joseph Geraci und Angelia R. Wilson (Hrsg.): Dares to speak: Historical and Contemporary Perspectives on Boy-Love, Gay Men‘s Press, London, ISBN 0-85449-2410.

Laut des mit ihr in seinen Ansichten zum Thema in vielen Zügen übereinstimmenden Sexualwissenschaftlers Dr. Rüdiger Lautmann stand Dr. Bleibtreu-Ehrenberg nachwievor auch Ende der neunziger Jahre unverändert zu den von ihr 1985/88 in Der pädophile Impuls gemachten Aussagen zur Pädophilie.Dr. Rüdiger Lautmann: Pädophilie, darf es die geben? - Anfragen anläßlich eines Buches, in: Dr. Frits Bernard, (Hrsg.), Pädophilie ohne Grenzen - Theorie, Forschung, Praxis, Foerster Verlag, Frankfurt/Main. ISBN 3-9222-57836

Siehe auch

Literaturhinweise

  • Dr. Gisela Bleibtreu-Ehrenberg: Der pädophile Impuls - Wie lernt ein junger Mensch Sexualität?, in: Melvin Lasky und Helga Hegewisch (Hrsg.), Liebe, Sexualität und soziale Mythen, Beltz Verlag, Weinheim (Reihe Der Monat, 295. Ausgabe), 1985. ISBN 3-407-39151-X

  • The Paedophile Impulse: Toward the Development of an Aetiology of Child-Adult Sexual Contacts from an Ethological and Ethnological Viewpoint (erweiterte und aktualisierte Fassung, Übersetzung Hubert Kennedy), in: Paidika - Journal of Paedophilia, 3. Ausgabe.

  • The Paedophile Impulse: Toward the Development of an Aetiology of Child-Adult Sexual Contacts from an Ethological and Ethnological Viewpoint, in: Joseph Geraci und Angelia R. Wilson (Hrsg.): Dares to speak: Historical and Contemporary Perspectives on Boy-Love, Gay Men's Press, London, 1997, ISBN 0-85449-2410 (unveränderterer Nachdruck der englischen Fassung von 1988)

Weblinks

Hinweis: Die Webseiten, auf denen Der pädophile Impuls veröffentlicht ist, sind aus verständlichen inhaltlichen Gründen der Arbeit häufig vorübergehend nicht erreichbar, weshalb hier soviele Adressen wie möglich angegeben werden.

Quellen



Diese Definition bzw. Erklärung des Begriff Der pädophile Impuls (Studie) und dessen Bedeutung wurde zuletzt am 25.7.2007 aktualisiert (Glossar Lexikon Enzyklopädie).