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Münster, 21. Oktober 2002

  Offener Brief

  Bundesregierung
Willy-Brandt Str. 1
10557 Berlin

 

Kinderschutz im Regierungsprogramm

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Schröder,
sehr geehrte Damen und Herren Minister/Innen,

heute wenden wir uns erneut an Sie und Ihr Kabinett, in der Hoffnung, dass in der zweiten
Legislaturperiode der Bundesregierung der Schutz von Kindern vor jeglicher Gewalt den
Stellenwert finden wird, den er in den vergangenen Jahren vermissen ließ. Wir bitten Sie
inständig, die dringend nötigen Gesetze umzuschreiben, zu ergänzen, bzw. neu zu
formulieren und im Bundestag einzubringen, die weitestgehend verhindern können,
dass Kinder zu potentiellen Opfern pädokrimineller Sexualverbrecher/-mörder werden.

Dabei beziehen wir uns auf das umfassende 10-Punkte-Programm, das von der ehemaligen
Bundesjustizministerin und dem Psychologen Dieter Speck schon 1997 in ihrem Buch:
Sexueller Mißbrauch, Knaur Verlag, 1997, S. 206 ff, schriftlich formuliert wurde:


1.
Wenn Eltern ihre Kinder als vermisst melden, handelt die Polizei sofort und wartet
nicht 24 Stunden oder länger. Sofortiges Handeln der Polizei kann Leben retten!
Eltern kennen ihre Kinder am besten. Sie wissen, dass etwas passiert sein muss,
wenn ihre Kinder zum Beispiel nach einer Stunde nicht zu Hause sind. Eltern sind
von den Behörden ernst zu nehmen und nicht zu vertrösten und nach Hause zu
schicken.


2.
Die StPO ist zu ändern: Es ist abzugehen von der "Unmittelbarkeit des Zeugen im
Gerichtssaal", die vorsieht, dass selbst Kinder vor Gericht aussagen müssen.
Bei sexuellem Missbrauch von Kindern hat es nur eine Vernehmung durch eine Person
zu geben. Sie sollte von einer Psychologin durchgeführt werden. Hinter einer
Spiegelglasscheibe können Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und die Eltern der
Vernehmung beiwohnen, ohne dass das Kind gestört oder irritiert wird. Die
"Unmittelbarkeit des Zeugen" bleibt so gewahrt. Es ist eine vertrauliche,
das Kind beschützende Atmosphäre erforderlich. Zunächst muss der Kontakt zum Kind
aufgebaut und sein Vertrauen hergestellt werden. Hierfür und für die Vernehmung
insgesamt sind im Regelfall mehrere Termine erforderlich. Das bedeutet positiv, dass
sich das Kind in Ruhe an das Setting gewöhnen kann und dass es nicht sofort zu
Aussagen gedrängt wird, die Blockaden verursachen. Gleichzeitig haben die
Vertreter der Justiz die Möglichkeit, jede Sitzung zu diskutieren und neue Fragen
anzuregen, die dann später von der dem Kind inzwischen vertrauten Psychologin
gestellt werden können.


3.
Zusätzliche Glaubwürdigkeitsgutachten werden nur im Ausnahme- und nicht im
Regelfall erstellt. Die Erstellung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens bedeutet, dass
Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers bestehen. Warum aber sollten Kinder
im Regelfall lügen? Kinder brüsten sich eher mit Erfolgen und mit Angeberei als mit
den erniedrigendsten Momenten, die ein Mensch erleiden kann.


4.
Den Opfern ist von staatlicher Seite sofortige Opferhilfe zu gewähren. Für
therapeutische Maßnahmen sind entsprechende Mittel bereitzustellen. Die Kosten
hierfür sind im Falle seiner Verurteilung vom Täter zu tragen. Ein Rechtsanspruch
auf Vollstreckung wird auf den Staat und nicht auf das Opfer übertragen, damit
erneute Auseinandersetzungen des Opfers mit dem Täter ausgeschlossen werden.
Der Staat geht bezüglich der Finanzierung von therapeutischen Maßnahmen in
Vorleistung und holt sich anschließend soweit wie möglich das Geld vom Täter zurück.


5. (Dieser Punkt wurde bereits im Gewaltschutzgesetz realisiert.)


6.
Die örtlichen Jugendämter bilden einen dauernden Krisenstab für Opfer sexuellen
Missbrauchs. Hier sind die örtlichen psychologischen Beratungsstellen, Polizei,
Staatsanwaltschaft, Ermittlungsrichter und der Weiße Ring vertreten. Zusätzliche
Einrichtungen wie der Kinderschutzbund können als Mitglieder hinzugezogen
werden. (Anm. d. Autors: Dieser Krisenstab wurde bereits in einigen Städten
realisiert, sollte aber flächendeckend für ganz Deutschland verpflichtend erfolgen.)


7.
Strafverfahren gegen Sexualstraftäter sind zu verkürzen. Sie sollten innerhalb von
drei bis sechs Monaten eröffnet werden, damit für die Opfer die juristische Seite
so schnell wie möglich abgeschlossen wird. Jedes Verfahren, das sich über Monate
und Jahre hinzieht, traumatisiert die Opfer psychisch weiterhin, da sie nicht zur Ruhe
kommen. Schleppende Verfahren gefährden zudem die therapeutische Arbeit mit den
Opfern.


8.
Bei der Zumessung des Strafmaßes sind Sexualdelikte nicht länger als "Kavaliersdelikte"
zu betrachten. Eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung eines Bußgeldes
oder eine Bewährungsstrafe für einen katholischen Geistlichen, der über acht Jahre in
225 Fällen Kinder sexuell missbraucht hat, ist nicht länger hinzunehmen. Solche Strafen
stellen eine weitere Vergewaltigung und eine Verhöhnung der Opfer dar.


9.
Es ist Abschied von der Vorstellung zu nehmen, dass jeder Sexualstraftäter durch
Therapie "gebessert" werden kann. Es gibt keine hundertprozentig erfolgreiche Therapie
für Sexualstraftäter. Auch wenn man nach Tätertypen differenzieren muss, so
handelt es sich um eine Abberation des Sexualtriebs, der so stark ist, dass beim
Täter ein Kontrollverlust erfolgt. Er folgt bei der Ausübung der Tat seinem Trieb und
stellt die Befriedigung seines sexuellen Bedürfnisses und die Ausübung von Macht
und Unterwerfung an erste Stelle. Die Wahrscheinlichkeit der Rückfälligkeit ist
somit groß, wie gerade auch die jüngsten spektakulären Fälle im In- und Ausland
zeigen. Dennoch ist dem Täter Therapie anzubieten. Lehnt er diese ab, arbeitet er in der
Therapie nicht mit oder bleibt die Therapie erfolglos, so sind Sexualstraftäter – wie in
Frankreich – langzeitig zu inhaftieren bzw. einer Sicherheitsverwahrung zuzuführen.
Dies geschieht nicht aus Gründen der Abschreckung, sondern zum Schutz der
Gesellschaft. Neben psychotherapeutischen Maßnahmen ist zu prüfen, ob eine chemische
bzw. biologische Kastration des Täters wie in den USA und Skandinavien durchzuführen
ist. Sie sollte vor allem bei Gewalttätern und bei nicht einsichtsfähigen Tätern erwogen
werden, um die Gesellschaft zu schützen und um die Täter aus ihrem eigenen
Teufelskreis, "Sklave ihres Triebes" zu sein, herauszuführen.


10.
Täter sollten nur aus der Haft entlassen werden, wenn sie erfolgreich an einer Therapie
teilgenommen haben. Sie sind durch externe Gutachter zu begutachten. Sie müssen unter
polizeilichen Auflagen gestellt bleiben und sich einer lebenslangen therapeutischen
Kontrolle unterziehen. Von jedem Sexualstraftäter ist sein genetischer Fingerabdruck zu
nehmen. Berufsausübungen, die sie mit Kindern in Kontakt bringen könnten, sind ihnen
zu verwehren. Es ist zu prüfen, ob die Gemeinde, in der sich der Täter niederlässt, vor
ihm gewarnt wird, wie dies in Amerika der Fall ist. Kommt es dennoch zu Rückfällen,
so ist dauerhafte Sicherheitsverwahrung anzuordnen.

Ergänzungen:
Bitte sorgen Sie dafür, dass Gerichte bei Tätern, die Kinder vergewaltigen und ermorden,
zwingend auf die "besondere Schwere der Schuld" erkennen müssen und
diese Verbrecher per Gesetz in Sicherheitsverwahrung überführt werden. Die
Vergewaltigung eines Kindes ist immer ein geplantes Schwerverbrechen, das den
Aktivitäten von Terroristen ähnlich ist.
Bringen Sie ein Gesetz im Bundestag ein, dass Täter nur dann aus dem Gefängnis/der
Sicherheitsverwahrung entlassen werden können, wenn drei speziell ausgebildete und
voneinander unabhängige Gutachter allesamt zu einer übereinstimmend positiven
Sozialprognose kommen.
Veranlassen Sie, dass Besitz und Verbreitung von Kinderpornographie zu einem
anzeigepflichtigen Delikt erhoben wird. Die optische Darstellung schwerster Verbrechen
an den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft darf nicht länger juristisch als
"Vergehen" bewertet und geahndet werden. Nur so können Sie sicherstellen, dass
Gerichte diese Straftaten nicht länger als Bagatelldelikte aburteilen.

Die Hamburger Morgenpost berichtet am 11. Oktober 2002:
"Gestern wurde der selbständige Taxifahrer wegen sexuellen Missbrauchs an seiner
Stieftochter (MOPO berichtete) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Von ursprünglich 1325 Fällen wurde ihm knapp die Hälfte nachgewiesen."
Es verstößt zutiefst gegen das Gerechtigkeitsempfinden aller überlebenden Opfer und
aller Angehörigen, dass über 650 – nachgewiesene – Vergewaltigungen mit sechseinhalb
Jahren Haft abgegolten werden. Was glauben Sie, wie das Urteil ausgefallen wäre, wenn
dieser Täter 650 Banken überfallen hätte? Bitte sorgen Sie noch in dieser Legislaturperiode
dafür, dass das Verbrechen Vergewaltigung bei der juristischen Bewertung zumindest dem
eines Bankraubes gleichgestellt wird.
Bitte erlassen Sie ein Gesetz, das regelt, dass sich in Zukunft auch derjenige strafbar macht,
der von sexueller Gewalt gegen Kinder weiß und sie nicht anzeigt. Zudem muss bestraft
werden, wer sexuelle Gewalt gegen Kinder belohnt, öffentlich gutheißt oder versucht, andere
dazu anzustiften. Anders als bisher muss auch derjenige bestraft werden, der in der Absicht
auf ein Kind einwirkt, es zu sexuellen Handlungen zu bringen, bzw. behauptet, dass Kinder
sich sexuelle Handlungen von Erwachsenen wünschen. Stellen Sie die Propagierung der
Einvernehmlichkeitslüge juristisch der Verbreitung der Auschwitzlüge gleich.
Sie werden dieses Land für weitere vier Jahre regieren. Sie haben die Chance zu zeigen,
dass sich Ihre Regierung tatsächlich für einen effektiven Schutz der schwächsten Mitglieder
unserer Gesellschaft einsetzt, dies nicht nur verbal bekundet, sondern dem Begehren der
Bevölkerung auch durch eine entsprechende Gesetzgebung Rechnung trägt.

Für ein persönliches Gespräch stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,