"Mit dem Internet ist bei den Pädophilen eine Subkultur entstanden"
Berlin -
Der Journalist Manfred Karremann hat ein Jahr lang in der pädophilen Szene verdeckt recherchiert. Dabei lernte er Ilja Sch. und Alfred B. kennen, deren Straftaten auch dank seiner Hilfe aufgedeckt werden konnten. Mit Manfred Karremann sprach Michael Mielke.
DIE WELT: Vor Gericht haben die Täter nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt. Waren Ilja Sch. und Alfred B. bei Ihren Recherchen auch so scheu?
Manfred Karremann: Es hat schon eine Weile gedauert, bevor sie von ihren Taten erzählten. Sie sind nicht die Typen, die herumlaufen und mit ihren Taten prahlen.
DIE WELT: Ilja Sch. deutete vor dem Prozess an, dass er sich keineswegs schuldig fühle. Haben diese Männer kein Unrechtsbewusstsein?
Karremann: Ich glaube nicht. Die gehen in ihrem Selbstverständnis davon aus, dass die sexuellen Handlungen mit bewusster Zustimmung der Kinder geschehen. Sie würden ja auch nicht gewalttätig werden, sondern aufhören, wenn die Jungs "nein" sagen - was die Missbrauchstaten aber nicht entschuldigen kann.
DIE WELT: Beide sind Akademiker und wissen, dass sie gegen Gesetze verstoßen. Ist ihnen das egal?
Karremann: Die zimmern sich ihre eigenen Theorien zusammen. Ilja Sch. war ja auch mal in der Organisation "Krumme 13" aktiv. Dort wird allen Ernstes für das Recht der Kinder auf einvernehmliche Sexualität mit Erwachsenen gekämpft.
DIE WELT: Alfred B. und Ilja Sch. haben vor Gericht zugegeben, die Kinder oft auch gemeinsam missbraucht zu haben. Ist das typisch in dieser Szene?
Karremann: Da gibt es verschiedene Varianten. Mal geschieht es in der Gruppe, dann wieder möglichst allein mit einem der Kinder. Oft ist so ein Kind jahrelang eine feste Bezugsperson. Da wird dann auch eifersüchtig der Kontakt mit anderen Pädophilen vermieden. Kommt das Kind in die Pubertät, erlischt zumeist das sexuelle Interesse.
DIE WELT: Ilja Sch. ist schon zweimal wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden. Können Urteile in Strafprozessen bei diesen Tätern überhaupt etwas bewirken?
Karremann: Das möchte ich bei den konkreten Fällen nicht beurteilen. Aber ich glaube schon, dass pädophile Täter vor dem Gefängnis eine rasende Angst haben. Die stehen dort auf der untersten Stufe der Hierarchie und gehen durch die Hölle. Aber man darf auch nicht die Relation verlieren. Sch. und B. gehören eher zur gemäßigten Fraktion. Es gibt ganz andere Kaliber.
DIE WELT: Sie schreiben in einer Reportage, mit dem Internet sei "die Szene der Pädophilen regelrecht explodiert". Ist das nicht etwas übertrieben, und sind Männer wie Ilja Sch. nicht eher Exoten?
Karremann: Nein. Mit dem Internet ist tatsächlich eine regelrechte Subkultur entstanden. Die haben sich vernetzt. In fast jeder Stadt gibt es eine Gruppe. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Polizei und Justiz allein sind damit überfordert. Mir persönlich ging es aber nicht darum, einzelne Pädophile hinter Gitter zu bringen. Meine Recherchen sollten ein Anstoß sein zum Nachdenken über den Umgang mit Kindern und wie wir sie schützen können.
Artikel erschienen am 12. Nov 2003
|