"Nein, ich schäme mich nicht..."

Zwei pädophile Straftäter wurden durch einen Journalisten enttarnt - Jetzt stehen sie vor Gericht

von Michael Mielke

Berlin -  Ilja Sch. steht im Moabiter Kriminalgericht vor dem Saal 618 und starrt, die Kapuze über den Kopf gezogen, auf den Aushang. "Haben Sie Kinder sexuell missbraucht?", fragt ein Reporter. Der 44 Jahre alte Diplom-Mathematiker antwortet nicht. "Schämen Sie sich?", insistiert der Journalist. "Nein", sagt Sch. leise, "ich schäme mich nicht, aber ich gebe Ihnen hier auch keine Antworten." Anschließend sagt er bei jeder neuen Frage gebetsmühlenartig: "Es ist viel gelogen worden von der Presse, es ist viel gelogen worden  . . .

Auch der ebenfalls wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagte Alfred B. hat eine ganz besondere Beziehung zu den Medien. Der 41-Jährige hält sich ein Buch mit Titel "Medien ohne Moral" vors Gesicht, als er, von seinem Verteidiger abgeschirmt, gebückt den Gerichtssaal betritt.

Dass Ilja Sch. und sein pädophiler Mittäter Alfred B. Journalisten nicht mögen, ist zu verstehen. War es doch ein ZDF-Reporter, der ihre Täter-Wohnung an der Leipziger Straße in Mitte auffliegen ließ. Manfred Karremann, der ein Jahr lang in die pädophile Szene abgetaucht war, hat mit seinen Recherchen letztlich auch dafür gesorgt, dass es zu dieser Anklage kam: Ilja Sch. soll sich in 22 Fällen an neun bis 13 Jahre alten Jungen vergangen haben; der aus Wien stammende Alfred B. sogar 89 Mal. Dabei soll der arbeitslose Netzwerktechniker einem 13-Jährigen 44 Mal als Belohnung einen Joint mit Marihuana gegeben haben. Bei den kleineren Kindern wurde - so steht es im Anklagesatz - von den Tätern das Spiel als Weg zum sexuellen Missbrauch gewählt: Flaschendrehen oder Kartenspiele; der jeweilige Verlierer musste dann jedes Mal ein Kleidungsstück ablegen, bis Männer und Kinder nackt waren. Manchmal hatte es für die willigen Opfer auch Belohnungen von zwei oder drei Euro gegeben. Insgesamt sollen fünf pädophil veranlagte Männer beteiligt gewesen sein, die sich regelmäßig in der Wohnung an der Leipziger Straße mit den Kindern trafen. Gegen drei wird noch ermittelt.

Mit Karremann hatte Ilja Sch. über diese Taten ganz unverblümt gesprochen. Es gibt sogar von dem Journalisten heimlich gedrehte Videoaufnahmen. Vor Gericht will Ilja Sch. darüber jedoch nichts sagen - zumindest nicht im Beisein der Öffentlichkeit. Die wird dann auch auf Antrag der Verteidigung ausgeschlossen. Allerdings nicht, um den Tätern die peinlichen Aussagen vor dem dicht gefüllten Zuhörerraum zu ersparen, sondern der "schutzwürdigen Interessen" der missbrauchten Kinder wegen. Vermutlich werden diese ohnehin nicht vor Gericht erscheinen müssen. Beide Angeklagten sollen die Taten - wie zuvor schon bei den polizeilichen Vernehmungen - gestanden haben.

Wie diese Reue zu werten ist, bleibt jedoch abzuwarten. Ilja Sch. ist schon zweimal wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden. Und auch gegen die Auflagen des Haftverschonungsbeschlusses hatte der schmächtige Mann offenbar schon mehrfach verstoßen: Eine Nebenklagevertreterin sagt zu Beginn des Prozesses, dass sich Ilja Sch. trotz Verbotes des Gerichts immer wieder vor dem Haus an der Leipziger Straße herumgetrieben habe.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

Artikel erschienen am 12. Nov 2003