Rosa von Praunheim




Der Mann hat was bewirkt. Sein Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt", der im Bayrischen Fernsehen nicht gezeigt werden durfte, hat die deutsche Schwulenbewegung auf den Weg gebracht. In den Achtzigern war einer der Vorkämpfer gegen Aids und für Safer Sex. Seine umstrittene Outing-Kampagne in den frühen Neunzigern, bei der er die Homosexualität von Prominenten wie Alfred Biolek ausplauderte, hat die Emanzipation der Schwulen beträchtlich vorangebracht. Und jetzt legt Rosa von Praunheim, mittlerweile 56, seinen bislang bravsten, kommerziellsten, aber auch emotional berührendsten Film vor. "Der Einstein des Sex" erzählt die Lebensgeschichte von Magnus Hirschfeld, ein bekennender Schwuler, der Anfang des letzten Jahrhunderts als erster Deutscher über Sexualität forschte und 1919 in Berlin das später von den Nazis zerstörte Institut für Sexualwissenschaft gründete.

Vermutlich trägst du die Idee zu diesem Film schon sehr lange mit dir herum.

Stimmt. Ich arbeite seit zehn Jahren an diesem Film. Hirschfeld ist ja sozusagen der Großvater der Schwulenbewegung, und ich kann mich sehr gut mit ihm identifizieren, weil ich ja in den sechziger Jahren die deutsche Schwulenbewegung mit angeregt habe. Damals hatten wir wenig Zeit, uns mit Hirschfeld auseinanderzusetzen, weil wir zu sehr mit uns selber und den äußeren Umständen beschäftigt waren. Homosexualität war ja bis 1969 in Deutschland kriminalisiert.

Der Film ist also eine Art schwuler Spurensuche.

Sicher. Dass um die Jahrhundertwende im prüden Preußen junge Wissenschaftler über Sexualität forschten und sich, wie Hirschfeld, für sexuelle Minderheiten einsetzten, war eine ungeheure Sensation. Diese Tradition haben die Nazis so gründlich vernichtet, dass nach dem Krieg kaum mehr was darüber bekannt war.

Ist der Film bloß ein verdientes Denkmal oder hat Hirschfeld für dich heute noch Bedeutung?

Er hat eine große Bedeutung. Hirschfeld hat lange vor Kinsey empirisch geforscht und Zehntausende von Fragebögen gesammelt. Und er war nicht nur Naturwissenschaftler, sondern hat auch das Buch "Das dritte Geschlecht" über die über die schwul-lesbische Subkultur der Jahrhundertwende geschrieben.

Gegenüber deinen früheren, zornigen und aggressiven Filmen, wirkt "Einstein des Sex" fast handzahm Ist dein Zorn verraucht?

Die Zeiten haben sich geändert. Heute wirst du in TV-Sendungen wie "Wa(h)re Liebe" oder "Liebe Sünde" mit Sex überschüttet - das kannst du nicht mehr toppen oder in Konkurrenz dazu treten. Deswegen haben wir uns entschlossen, das Revolutionäre an Hirschfeld aus seiner Zeit heraus zu zeigen, als es nur sehr begrenzt möglich war, radikal zu sein. Es ist unmöglich, die Jahrhundertwende mit der gleichen Wut, wie wir sie heute empfinden, zu betrachten.

Der politische Kampf, dessen Teil deine Filme ja immer waren, ist also noch nicht zu Ende?

Der wird nie abgeschlossen sein. Sexualität wird immer etwas Spannendes bleiben, und die Art, wie wir sexuell miteinander umgehen, wird sich immer wandeln. Ich wünsche mir da auch mehr Experimentierfreude. Das Modell Kleinfamilie hat ja oft genug gezeigt, wie schwierig es für die Leute ist, damit zu leben.

Vor ein paar Jahren wimmelte es ja nur so vor Schwulen im Kino. Wie hast du diese Welle empfunden?

Positiv. Einer der Slogans der Aids-Bewegung hieß ja "Schweigen ist Tod", und insofern kann man gar nicht genug Filme über Sexualität sehen. Ich hab auch überhaupt nichts dagegen, wenn sich Hollywood mit diesem Thema beschäftigt und es einem großen Publikum nahe bringt. "Philadelhia", der erste große Film über Aids, war ganz arg wichtig. Was ich etwas bedauere, ist, dass die Schwulen selber nicht genug Filme machen, sondern das den Heteros überlassen.

Ist denn die Emanzipation der Schwulen vorangekommen, seit du mit dem Filmemachen angefangen hast?

In Deutschland hat sich in den letzten Jahren ungeheuer viel getan. Man kann das fast Monat für Monat sehen, wie sich etwa in den Unterhaltungsshows die Einstellung gegenüber Schwulen verändert. In Osteuropa oder in muslimischen Ländern hast du dagegen zum Teil noch die Todesstrafe. In über 60 Ländern ist Schwulsein kriminalisiert. Oder Homosexualität taucht überhaupt nicht im Gesetzbuch auf, weil es so unaussprechlich schlimm ist.

Auch in Deutschland gibt es Rückschläge. Scharping will keine schwulen Offiziere in der Bundeswehr.

Man muss alles immer wieder neu erkämpfen. Auch die Coming-Out-Probleme von jungen Leuten in der Provinz sind immer noch sehr groß. Es gibt wenige Schulen, wo ein junger Mensch offen schwul oder lesbisch sein kann. Und es gibt keine Rollenvorbilder.

Hat deine Outing-Kampagne gesellschaftlich was bewirkt?

Man merkt, dass Journalisten seitdem positiver berichten. Heute kommt's vor, dass ein prominen-ter Schwuler, ohne dass das problematisiert wird, mit seinem Freund in einer Gesellschaftkolumne auftaucht. Früher hieß es in der "BZ" immer: Schwarze, Schwule und Alte sind in der Zeitung nicht erwünscht.

Dass sich Hirschfeld im Film gegen das Outen ausspricht, ist also keine Selbstkritik.

Ich wollte nur darauf aufmerksam zu machen, dass ich das Outen nicht erfunden haben, sondern dass über diese Frage schon lange debattiert wird. Das Tragische ist, dass oft Schwule mit dazu beitragen, Homosexualität zu kriminalisieren. Wenn ein Schwuler in einer wichtigen Position ist, hilft er nicht automatisch mit, dass Homosexualität freier gelebt werden kann. Sondern er kann im Gegenteil Homosexualität unterdrücken, damit es bei ihm selber nicht rauskommt. Die Unterdrückung, die ich erlebt habe, ging meistens von Schwulen aus, muss ich tragischerweise sagen.

Glaubst du dass deine Filme politisch was bewirkt haben?

Nach "Nicht der Homosexuelle ..." haben sich Anfang der siebziger Jahre 50 Schwulengruppen in Deutschland gegründet. Das war ein ungeheurer Umbruch. Ich denke, dass auch meine Medienpräsenz was bewirkt hat. Ich war ja der Erste, der nicht nur seinen Arsch, sondern auch seinen Kopf hingehalten hat. Wenn jemand sichtbar wird, bewirkt das sehr viel. Neulich habe ich in Mecklenburg in einem Gymnasium einen Film gezeigt. Da war ich der erste lebende Schwule, den diese Leute gesehen haben.

Interview: Klaus-Peter Eichele

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